Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall»Liebe ist kein Gefühl.
Liebe ist keine Romantik
Liebe ist eine Tat.
Man muss die Liebe vom Ernstfall aus betrachten.«

Fünf Frauen, fünf Geschichten, fünf Lebenslinien, die (sich) berühren und hier und da kreuzen. Alle fünf Frauen wurden Mitte der Siebziger Jahre geboren. Der Leser von Daniela Kriens Roman »Die Liebe im Ernstfall« lernt sie an unterschiedlichen Stationen ihres Lebens kennen. Dabei wird ihm auf ebenso eindrucksvolle wie nachdrückliche Weise vor Augen geführt, wie verletzlich die menschliche Seele ist. Ist die Wiedergutmachung seelischen Leids überhaupt möglich?

Zunächst lernt man die alleinerziehende Buchhändlerin Paula kennen, die mit Hilfe einer neuen Liebe ihre schweren Depressionen besiegt. Ihre Jugendfreundin Judith ist eine erfolgreiche Ärztin. Sie vertraut ihr Liebesleben den wirkungsvollen Algorithmen einer Dating-Plattform an. Ihre Seele streichelt ihr Pferd. Brida ist eine Patientin von Judith. Sie ist Schriftstellerin, die aufgrund ihrer Pflichten als Mutter und Hausfrau nicht zum Schreiben kommt. Brida hat einst der Geigenlehrerin Malika den Geliebten Götz ausgespannt und geheiratet. Seit dem fühlt sich Malika verlassen und einsam – bis ihre Schwester Jorinde ihre Hilfe benötigt.

Daniela Krien beschreibt das Leben ihrer fünf Heldinnen so differenziert und authentisch, als hätten die Frauenprotokolle aus Maxi Wanders »Guten Morgen, Du Schöne« Mitte der Siebziger Jahre eine Fortsetzung im Heute gefunden. Dabei konzentriert sich Krien darauf, auf welche Weise die bezeichnenden »Dinge des Lebens« aus den Fugen geraten sind.

Als Paulas Baby stirbt, gibt ihr Mann ihr die Schuld, weil sie das Kind impfen ließ. Der Leser fühlt mit ihr nach den glücklichen Augenblicken in ihrem Leben und erspürt die Momente, die die Schieflage provozierten. Brida lässt sich scheiden und beginnt wieder zu schreiben. Die sexuelle Beziehung zu ihrem Mann erhält sie aufrecht.

Auch bei den anderen drei Frauen bestimmen die eigenen Entscheidungen den weiteren Lebensweg. Glatt und eben ist keiner. Der Blickwinkel der Männer ist nur am Rande gefragt. Sie kommen schlecht weg. Passen Männer und Frauen tatsächlich nicht zusammen? Liegt das Heil tatsächlich in einer Frauen-WG, in der die Kinder ohne Männer aufwachsen? So provokant das Lebensmodell, das die Schwestern Malika und Jorinde am Ende für sich gefunden haben, auch klingt, so lebendig und wahrhaftig lesen sich diese Frauenschicksale.

Da der Handlungsspielraum in Leipzig angelegt ist, rücken die Geschichten von Liebe, Verlust und Irrwegen auch in unsere jüngste Vergangenheit. Die Eltern von Malika und Jorinde waren zu DDR-Zeiten ein anerkanntes Paar, das in intellektuellen Kreisen verkehrte. Sich an die neuen Verhältnisse anzupassen und in ihnen einen neuen Platz zu finden, fällt ihnen schwer. Ihre Verbitterung lässt sich nachvollziehen.

Die wechselnden Perspektiven fügen am Ende ein realistisches Bild der Frauen in der Lebensmitte zusammen, das zum einen allumfassende Fragen mitschwingen lässt: Kinder oder Karriere? Unabhängigkeit oder Anpassung? Verantwortung, und wenn ja, wie viel? Zum anderen nährt dieses Buch die Hoffnung, dass es zwischen den Wirrungen des Lebens viel Platz für das Seelenheil gibt.

Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall | Deutsch
Diogenes 2019 | 288 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen