Daniel Woodrell: Winter’s BoneShe knew few details of the old bitter reckoning that erupted inside those once holy walls, but suddenly understood to her marrow how such angers between blood could come about and last forever. Like most fights that never finished it had to’ve started with a lie. A big man and a lie.

Ree Dolly, 16, wächst in einer rauen, ländlichen Gegend in Missouri auf, in der die Bewohner fast alle irgendwie blutsverwandt sind, lieber unter sich bleiben und feindlich auf Fremde reagieren. In bester amerikanischer und literarischer Tradition bringt die weitverzweigte Blutsverwandtschaft einen komplizierten Ehrenkodex mit widersprüchlichen Verpflichtungen, Tabus und Loyalitäten mit sich. Rees Vater ist im Drogengeschäft und glänzt vor allem durch Abwesenheit, während ihre Mutter sich vor den Enttäuschungen ihres Lebens in geistige Welten zurückgezogen hat, in denen sie für Ree genauso unerreichbar ist wie der Vater. Ree kümmert sich, so gut es geht, um ihre beiden jüngeren Brüder, sehnt sich jedoch danach, endlich einmal nur für sich selbst verantwortlich zu sein. Ihr Traum ist, zur Army zu gehen.

Doch zunächst hat sie alle Hände voll zu tun damit, genügend Essen zu beschaffen, ihren Brüdern das beizubringen, was sie zum Überleben wissen müssen, und sie davon abzuhalten, auf die schiefe Bahn zu geraten. Sie schafft es gerade so, als die Polizei ihr eines Tages ankündigt, dass ihre Familie das Haus verliert, wenn ihr Vater, der auf Bewährung aus dem Gefängnis ist, nicht zu seiner nächsten Gerichtsverhandlung erscheint – oder sie nicht beweisen kann, dass er tot ist. Ree macht sich umgehend auf die Suche nach ihm, unterstützt von ihrer besten Schulfreundin, die sich nach einer Nacht mit zu viel Alkohol plötzlich als zu junge verheiratete Mutter wiederfindet.

Ohne es zu wissen, begibt sich Ree durch ihre Suche auf gefährliches Terrain: Ihr Onkel, ein Ex-Geliebter ihrer Mutter, eine Ex-Geliebte ihres Vaters und diverse andere mehr oder weniger mit ihr Verwandte raten ihr, ihre Suche aufzugeben, nennen ihr aber keine Gründe, warum. Ree beschließt jedoch, dass ihr nichts anderes übrig bleibt und lässt sich nicht abhalten. Dafür bezahlt sie schließlich fast mit ihrem Leben, denn ebenso wie ihr keiner Gründe dafür nennt, warum sie lieber keine Nachforschungen nach ihrem Vater anstellen sollte, fragen ihrer Beinahe-Mörder auch nicht, warum sie ihn überhaupt sucht. Doch hartnäckig und zäh wie sie ist, verdient sie sich den Respekt ihrer verfeindeten Verwandten, die ihr letztlich in einer wunderbar gruselig-grotesken Aktion helfen, den Tod ihres Vaters zu beweisen.

»Winter’s Bone« überzeugt als Buch ebenso wie als Film. Woodrells neutrale, zurückhaltende Erzählerstimme steht in Kontrast zu der Krassheit der Welt, in der seine Figuren sich jenseits der üblichen gesellschaftlichen Normen bewegen, ein Kontrast, der einem diese Geschichte umso eindrücklicher nahe bringt. Darüber hinaus ist Ree eine höchst bemerkenswerte Protagonistin: Sie gehört zu den äußerst seltenen starken und zugleich sympathischen Frauenfiguren in Buch und Film.

Daniel Woodrell: Winter’s Bone | Englisch
Hodder & Stoughton 2007 | Jetzt bestellen