Niemand sollte vor diesem historischen Roman zurückschrecken, weil er das Wort Revolution im Titel trägt und hier einer der wichtigsten Ökonomen der Weltgeschichte, nämlich Karl Marx, eine tragende Nebenrolle spielt.
Lenchen Demuth mit der Zitterhand muss bitterste Armut in ihrer Familie erfahren. Sie war nicht gewollt. Das lässt ihre Mutter sie spüren. Auch die Geschwister, die älteren wie die jüngeren, gehen nicht zimperlich mit ihr um. Nur für den Vater ist sie der Liebling, der sich trotz der schweren Arbeit ein winziges Hobby leistet und es seiner Tochter beibringt: das Schachspiel.
Lenchen, neun Jahre alt, hört von Dorothea, die aus dem Nachbardorf nach Trier gegangen ist und sich dort als Dienstmädchen verdingt. Den Gerüchten zufolge soll sie dort viel Geld verdienen. Gerüchte. Nichts Genaues weiß man nicht. Doch Lenchen beschließt, es ihr gleichzutun. So würde sie ihrer Familie nicht mehr auf der Tasche liegen und könnte ihr vielleicht sogar noch Geld schicken von dem, was sie als Dienstmädchen verdient.
Sie hat Glück und lernt eher zufällig Jenny, deren Bruder und dessen Freund Karl kennen. Jenny überredet ihre Mutter, Lenchen in Dienst zu nehmen. Von Karl Marx ist Lenchen nicht gerade erbaut. Sie mag ihn nicht, und auch er scheint sie zu ignorieren. Schließlich ist sie ja auch nur Dienstmädchen. Doch Jenny von Westphalen ist ihr zugetan. Zwischen den beiden Mädchen, später Frauen, entwickelt sich eine Freundschaft, trotz unterschiedlichen gesellschaftlichen Standes.
Lenchen steht fortan loyal zu Jenny und ihrer Familie, auch wenn sie die Verlobung und Ehe mit dem widerlichen Karl nie mochte. Sie begleitet die Marx-Familie auf all ihren Stationen durch ganz Europa, lernt angesehene und politische Persönlichkeiten, wie Friedrich Engels, Freiligrath, Wilhelm Liebknecht und andere kennen, weil die sich bei den Marxens die Klinke in die Hand geben. Das Schachspiel und die vielen Diskussionen der Herrenrunden bringen Lenchen und Karl näher aneinander. Es entsteht eine Nähe, die für alle drei, Jenny, Karl und Lenchen, keine gute Atmosphäre mit sich bringt.
Mit Freude am Detail beschreiben die Autorinnen die Lebensumstände und historischen Ereignisse zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Mittels Bildern im Kopf des Lesers lassen sie diese Zeit groß und spürbar werden, auch den Druck durch die Armut, das fehlende Geld, das damit einhergehende Leid. Ebenso nimmt der Leser die Freuden wahr, die winzigen Freiräume, in die sich die Protagonisten flüchten, wie Petersons Coffeeshop.
Das Thema wurde von den Beinert-Schwestern hervorragend fiktionalisiert, sodass ein spannender und lesenswerter Roman daraus geworden ist. Auf unterhaltsame und liebenswerte Weise bekommt man Einblicke in das Leben einer politischen Familie Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die große Liebesgeschichte von Helena (Lenchen) Demuth und Karl Marx gibt eine Sicht auf Details, die in vielen Dokumentationen als Nebensache abgetan werden. Die Kunst der Autorinnen ist es, die Lücken zwischen den Fakten mit fiktiven Zusammenhängen zu füllen, in einer Weise, als wäre es tatsächlich so gewesen. Und das passt hier. Alles ist stimmig. Deshalb kann ich die »Revolution im Herzen« jedem ans Herz legen.
Claudia und Nadja Beinert: Revolution im Herzen | Deutsch
Droemer Knaur 2018 | 480 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen