Claude McKay: Banana BottomWürde sie wirklich in der Lage sein, die geistig-seelische Atmosphäre auszuhalten, sogar für sich anzunehmen – sich allen Erwartungen zu beugen, sie ganz zu erfüllen, und am Ende die materielle Belohnung ernten? Und dann war da diese Sache mit Herald Newton Day …

Der jamaikanische Autor Festus Claudius »Claude« McKay gehört zu den frühesten Vertretern der Harlem Renaissance. Diese soziale, kulturelle und künstlerische Bewegung afroamerikanischer Schriftsteller und Maler zwischen 1920 und 1930 hatte ihren Ursprung im gleichnamigen New Yorker Stadtteil. Von hier aus verbreiteten sich ihre Neuerungen schnell um die ganze Welt. In seinen Romanen und Kurzgeschichten thematisierte McKay das Leben der notleidenden Bevölkerung in seinem Heimatland und in New York und verarbeitete seine eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung und Armut.

Sein Roman »Banana Bottom« entstand 1933. Im vergangenen Jahr erschien er im Verlag Ebersbach & Simon erstmals in deutscher Sprache, einfühlsam übersetzt von Heddi Feilhauer. Weil mich Geschichten über außergewöhnliche Menschen interessieren und ich durch die Kirchner Kommunikation über den Plot stolperte, habe ich das Buch gelesen. Gespannt verfolgte ich den Konflikt zwischen der jungen heranwachsenden Jamaikanerin Bita Plant in der von steifen Regeln und Glaubensgrundsätzen geprägten Welt der Weißen.

Bita Plant kehrt 1910 als hoffähige britische Lady in ihr jamaikanisches Heimatdorf Banana Bottom zurück. Die junge Dunkelhäutige hatte keine fröhliche Kindheit und wurde als Zwölfjährige missbraucht. Später adoptierte sie das Missionarsehepaar Malcolm und Priscilla Craig und schickte sie für eine fundierte Ausbildung nach England. Nach ihrer Rückkehr soll Bita dem Willen ihrer Zieheltern zufolge einen passenden Mann heiraten und mit ihm gemeinsam einmal die Missionsleitung übernehmen.

Die Craigs haben ihre Rechnung jedoch ohne »die Wirtin« gemacht. Bita ist tiefen Herzens Jamaikanerin. Ihre gehobene Bildung ändert nicht ihre Herkunft. Sie fühlt sich zwischen der heimatlich-bunten Kultur mit ihren leidenschaftlichen Einwohnern und der elitären Welt ihrer Adoptiveltern hin- und hergerissen. Einerseits ist sie glücklich, wieder zu Hause zu sein. Andererseits ist sie dankbar für die Chancen, die sie von den Craigs bekommen hat.

Doch bedeutet Dankbarkeit auch automatisch Abhängigkeit? Muss sie zwangsläufig den Mann heiraten, den Malcolm Craig für sie ausgesucht haben? Herald Newton Day ist nicht der Mann ihrer Träume. Auf keinen Fall möchte Bita den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen.

Unerwartete Hilfe bekommt Bita vom englische Edelmann Squire Gensir, der bei den Dunkelhäutigen als auch bei den Weißen sehr beliebt ist. Er will die Lieder und Geschichten der Einheimischen sammeln. In seiner Begleitung kann Bita (zwar argwöhnisch von den Craigs beobachtet und dennoch relativ frei) tief in die jamaikanische Kultur eintauchen. Es wird Zeit für Bita, sich von den Craigs zu lösen. Doch in der kolonialen Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Emanzipation (noch) ein Fremdwort. Wo Stand und Schicht über die Rolle in der Gesellschaft entscheiden und die Hautfarbe in den meisten Fällen die (materielle) Existenz bestimmt, sorgt Bitas Drang nach Selbstbestimmung für kaum aushaltbare Spannung.

Claude McKay treibt die Handlung schonungslos voran. Er gestaltet seine Charaktere äußerst lebendig und deren Handlungen durchweg nachvollziehbar. Man fühlt sich mittendrin und spürt das Ringen der Protagonistin zwischen ihrer eigenen und der herrschaftlich fremdbestimmten Kultur. Ihre Suche nach ihrer Identität und dem damit verbundenen selbstbestimmten Weg in einem Land unter Fremdherrschaft gehen unter die Haut – mit langer Nachwirkung.

Claude McKay: Banana Bottom | Deutsch von Heddi Feilhauer
Ebersbach & Simon 2022 | 256 Seiten | Jetzt bestellen