Christian Y. Schmidt: Der letzte HuelsenbeckÄußerlich allerdings sahen wir schon wie Ökos aus. Doch unsere Frisuren und Klamotten waren nur Verkleidung. Wir dachten völlig anders. Wären wir nur ein zwei Jahre später auf die Welt gekommen, wären wir sicher alle Punks geworden. So aber standen wir genau zwischen allen Stilen und Bewegungen. Wir waren einfach die Huelsenbecks.

Nach 12 Jahren in Hongkong kehrt Daniel nach Deutschland zurück und besucht die Beerdigung seines Jugendfreundes Viktor, die in einer wilden Schlägerei endet. So beginnt der Roman um die Sinnsuche eines mittelalten Mannes, der die Heimat aufsucht, alten Freunden begegnet und einstigen Verflossenen nachweint.

Damals in den Siebzigern gründeten fünf junge Männer, Viktor, Ben, Michi, Ronny und Ich-Erzähler Daniel, eine dadaistische Aktionsgruppe und nannten sich die Huelsenbecks. Sie vollführten dadaistische Aktionen wie Bücherverbrennungen, Wodka-Schausaufen, das Zumauern des Haupteingangs des Stadttheaters, einen Wettlauf in der Kostümierung von riesigen Geschlechtsteilen und »der Selbstmord des Weihnachtsmannes«.

Eine frühere Bekannte gibt dazu folgende Einschätzung ab:

»Also für mich wart ihr komischen Huelsenbecks einfach nur ein postpubertärer, ziemlich unsympathischer, asozialer Haufen.«

Daniel versucht sich an die gute alte Zeit zu erinnern, aber das Jahr 1978 entpuppt sich zunehmend als schwarzes Loch in seinem Gedächtnis. Aus einzelnen Eindrücken und Erinnerungsfetzen, versucht er die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren. Seine Freunde von damals sind ihm dabei keine rechte Hilfe, weil ihr Gedächtnis ebenso löchrig ist, wie sein eigenes. Was geschah wirklich auf dem mehrwöchigen Roadtrip durch Amerika und Mexiko?

Daniel hat zunehmend mit Flashbacks zu kämpfen, der Wirkung seiner Antidepressiva und seinem ausufernden Alkohol- und Haschischkonsum. Sein Psychiater, ein glühender Fan von David Lynch und dessen Serie »Twin Peaks«, ist mit seinen ungewöhnlichen Ratschlägen und Methoden keine wirkliche Hilfe.

»Der letzte Huelsenbeck« besteht aus hervorragenden Zutaten, allein die erwähnten Songtitel würden einen fulminanten Soundtrack ergeben. Aber der Roman ist keine fröhliche Sause, wie beispielsweise bei den (thematisch verwandten) Büchern von Frank Goosen, die voller Nostalgie und Wehmut über vergangene Zeiten sind. Hier ist der Ton ernster und düsterer, trotz zahlreicher herrlich überdrehter Szenen. Vor allem aber auch sehr viel verwirrender. Von der Psychose der Hauptfigur bleibt auch der Leser nicht verschont und eine gewisse Neigung zum Dadaismus kann bei der Lektüre auch nicht schaden. Ich möchte nicht zu viel über die inhaltlichen Wendungen verraten, nur so viel, dass man sich auf einen unzuverlässigen Erzähler einstellen sollte.

»Der letzte Huelsenbeck« ist ein Buch, auf das man sich vollkommen einlassen muss. Wer durchhält wird belohnt.

Christian Y. Schmidt: Der letzte Huelsenbeck | Deutsch
Rowohlt 2018 | 400 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen