»Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen«, lautet ein Sprichwort. Geschichten!

Wenn man dorthin reist, wo sich die Tradition des Buchhandels mehr als fünfhundert Jahre zurückverfolgen lässt und die Reiseleitung, der man sich anvertraut, selbst einen enormen Bücher-Erfahrungsschatz hütet, lauern sie nicht nur in der Frankfurter Buchgasse.

Dort, wo sich Mitte des 15. Jahrhunderts der Verlagsbuchhandel etablierte und die Buchdrucker Johannes Fust, Peter Schöffer und Konrad Henckis ihn vorantrieben, sogen zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse zweiundzwanzig Mitglieder und Genossenschaftler der Büchergilde Gutenberg spannende Geschichte(n) auf. Nachgespürt in der Büchergilde Buchhandlung & Galerie (An der Staufenmauer), während eines Stadtspazierganges, hinter den Messekulissen, im Pavillon des Gastlandes Norwegen, im Dialog mit Autoren und Übersetzern, in der Deutschen Nationalbibliothek, bei interessanten Gesprächen mit echtem Frankfurter Handkäs, Grüner Soße mit hartgekochten Eiern und Äppelwoi im Restaurant »Mosebach« sowie im Frankfurter Presseclub.

Die Büchergilde war mit ganzem Herzen dabei, allen voran Christina Walde, die nicht nur einfach da, sondern tatsächlich präsent war und ihren Gästen auch den letzten Wunsch von den Augen ablas.
Dicht drängte sich die Zuhörerschar während Mona Høvrings Lesung in der Büchergilde Buchhandlung. Gemeinsam mit der Übersetzerin Ebba D. Drolshagen stand sie dem Publikum Rede und Antwort zu ihrem Buch »Was helfen könnte«.

Poetisch und doch klar beschreibt die norwegische Autorin die Entwicklung eines jungen Mädchens, die als Kind ihre Mutter verliert und auf der Suche nach etwas ist, das gegen den schmerzlichen Verlust helfen könnte. Das Meer spielt dabei eine Schlüsselrolle, birgt es doch Gefahr und Chance zugleich sowie Lauras innigsten Wunsch, sich freizuschwimmen und getragen zu sein. Einfühlsam beschreibt Mona Høvring Lauras Weg und zeigt Berührungspunkte auf, an denen Lebensmut entstehen kann.

Noch mehr Geschichten gab es während des Stadtrundgangs. Eine hat sich tief eingegraben in das Frankfurter Gedächtnis. Sie erzählt vom »Müll, der Stadt und dem Tod« und ist von Rainer Werner Fassbinder. Warum man Fassbinder Judenfeindlichkeit vorwarf und manche glaubten, in der Figur seines jüdischen Immobilienspekulanten Ignatz Bubis erkennen zu können, der Anfang der 1970er Jahre in die Auseinandersetzungen um die Sanierung des Frankfurter Westends als Investor verwickelt war, und was das mit dem Frankfurter Häuserkampf zu tun hatte, klang nach einem spannenden Thriller. Der fand Mitte der Achtziger seine Fortsetzung und beschäftigt die Einheimischen wie die Besucher noch immer.

Auf dem Messegelände im Trubel zwischen all den Verlegern, Literaturagenten, Buchhändlern, Bibliothekaren, Wissenschaftlern, Illustratoren, Dienstleistern, Filmproduzenten, Übersetzern, Druckern, Verbänden, Künstlern, Autoren, Antiquaren, Software- und Multimedia-Anbietern läuft man schnell mal mehr als zehn Kilometer, obwohl man sich überwiegend in einer Halle auf einer Etage aufgehalten hat.

Silvio Mohr-Schaaff, Marketing-Leiter der Büchergilde, brachte ein wenig Ordnung in das vermeintliche Durcheinander. Sein Herz schlägt für die unabhängigen Verlage. Verständlicherweise! Sie sorgen für geistige Vielfalt frei von großen Medienkonzernen. Spannend, wie viele solcher Verlage es gibt und welche Rolle dabei die Kurt-Wolff-Stiftung spielt. Wie man mit 250.000 Euro aus einer ZDF-Quizshow einen Verlag gründet, erzählte der junge Verleger Sebastian Guggolz – noch spannender!

Zwischendurch eine Kurzlesung mit dem chilenischen Autor Carlos Franz (»Das Quartett der Liebenden«) und dem renommierten Übersetzer Lutz Kliche. In Franz‘ Roman trifft der Augsburger Maler Johann Moritz Rugendas in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts auf den englische Naturforscher Charles Darwin. Beide lieben dieselbe Frau – noch eine reizvolle Geschichte.

Der exklusive Messebesuchstag endete für die Büchergilde-Reisegruppe mit einem ebenso exklusiven Essen im Frankfurter Presseclub. Nebenbei plauderten die Gestaltungsleiterin der Büchergilde, Cosima Schneider, und Silvio Mohr-Schaaff aus dem Verlags-Nähkästchen. Wie die Bilder zu dem neu aufgelegten Buch »Frankenstein« von Mary Shelley entstanden sind, erzählte Illustrator Martin Stark. Zu jedem Autogrammwunsch gab es eine Mini-Zeichnung – welch Leserglück!

Das konnte nur noch der Besuch in der Deutschen Nationalbibliothek toppen. Dreißig Millionen Medieneinheiten, Staunen und wieder Geschichte und Geschichten … über die deutsche Teilung, »Giftschränke« in Leipzig, den Holocaust und vermisste Bücher. Dank der Büchergilde Gutenberg wird diese Reise lange nachwirken. Über ein paar von den aufgesogenen Geschichten wird man auf diesen Seiten noch lesen können.