Bernhard Schlink: Olga»Was seid Ihr Männer für Feiglinge! … Schnee und Eis, Waffen und Krieg – dem fühlt Ihr Männer Euch gewachsen, aber nicht den Fragen einer Frau.«
(Olga Rinke, 27. Juli 1936)

Spätestens seit seinem Welterfolg »Der Vorleser« ist Bernhard Schlink für seine außergewöhnlichen und subtilen Geschichten bekannt. Oftmals sind es Frauen, die dabei eine Hauptrolle spielen. In seinem neuesten Roman »Olga« geht es um die Geschicke von Olga Rinke.

Olga wird 1883 in Breslau geboren, hat einen deutschen Vater und eine polnische Mutter. Nach dem frühen Tod der Eltern wächst sie in bescheidenen Verhältnissen bei der deutschen Großmutter in Pommern auf. Sie ist fleißig, eigensinnig und hartnäckig. Sie wird Lehrerin und nicht ganz freiwillig nach ihrer Ausbildung ins ostpreußische Memelgebiet versetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg flieht Olga (inzwischen ertaubt) nach Heidelberg und arbeitet als Näherin für eine Pfarrersfamilie. Zu deren Sohn Ferdinand entwickelt sie ein intimes Vertrauensverhältnis. Ein Schelm, wem dabei die knisternde Spannung der Beziehung zwischen Hanna und Michael Berg aus dem »Vorleser« wieder einfällt. Der große Altersunterschied zwischen Olga und Ferdinand lässt dieses Mal keine Erotik zu.

Während die Geschichte bis dahin aus einer übergeordneten, allwissenden Perspektive erzählt wird, schlüpft nun Ferdinand in die Rolle des Ich-Erzählers.

Olgas große Liebe Herbert, Sohn eines wohlhabenden pommerschen Gutsbesitzers, lässt Olga ihr ganzes Leben nicht mehr los. Herbert widersetzt sich dem für ihn vorgesehenen Lebensweg. Stattdessen treibt ihn das Abenteuer um: erst lässt er sich mit dem in der Nachbarschaft lebenden Waisenkind Olga ein; später ziehen ihn seine Entdeckungsreisen durch die ganze Welt. Dass es das ungleiche Paar vergleichsweise schwer haben wird, ihre Liebe auch nach außen hin zu zeigen, liegt auf der Hand, nicht nur weil sie unterschiedlichen Schichten angehören. Olga macht keinen Hehl daraus, dass sie mit den Linken sympathisiert. Herbert entpuppt sich als brennender Nationalist. Er kämpft 1904 in Südafrika gegen die Hereros und kehrt von einer Expedition in die Arktis nicht zurück.

Was seine zurückgebliebene Geliebte denkt und fühlt, erfährt der Leser erst im 3. Teil des Buches, als ihre längst verschollen geglaubten Briefe an Herbert wiederauftauchen. Für den Leser fügt sich erst an dieser Stelle ein Puzzle-Teil an das andere, und er erhält nach und nach ein Bild vom Leben, Lieben, Leiden, den Hoffnungen und Überzeugungen der Protagonistin. Im Mittelpunkt stehen ihre Geduld, ihre Liebe zu Herbert und ihr Unverständnis für sein Handeln bis über seinen Tod hinaus.

Die unterschiedlichen Erzählperspektiven lassen die Geschichte plastisch wirken und ziehen den Leser mit. Trotz der nicht immer klar wahrzunehmenden stilistischen Grenzen weiß Bernhard Schlink treffend und emotional zu erzählen. Gern nimmt man ihm dabei die eine oder andere konstruierte Überraschung ab. »Olga« findet einen Platz im Leserherz und animiert so zur Reflektion über Liebe, Loyalität, Freundschaft und über (verpasste) Chancen.

Bernhard Schlink: Olga | Deutsch
Diogenes 2018 | 320 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen