Montesecco ist ein kleines, sterbendes Dorf in Italien. Von ursprünglich achthundert Bewohnern sind nur fünfundzwanzig geblieben. Meist starrköpfige Alte, die sich weigern, den Ort aufzugeben.
Wenn jemand sie fragte, was sie in diesem toten Kaff halte, zuckten sie nur die Achseln und dachten, dass alles und jeder irgendwann sterben müsse. Umso besser, wenn Montesecco es schon hinter sich hatte. Aber vielleicht stimmte das gar nicht. Vielleicht hatte Montesecco das Schlimmste noch vor sich, und vielleicht würde der Weltuntergang doch mit einem großen Knall eingeleitet werden. Genauer gesagt mit drei gewaltigen Detonationen, die an diesem Vormittag im Januar die Fensterscheiben des ganzen Ortes erklirren ließen.
Ein Staatsanwalt stirbt bei einem Attentat mit einem Raketenwerfer in der Nähe von Montesecco. Der kleine Ort rückt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Als im Anschluss daran ein siebzehnjähriger Bewohner vier Polizisten als Geiseln nimmt und die Freilassung von einem Dutzend Mitglieder der Roten Brigaden fordert, kann sich niemand seine Beweggründe erklären. Während sich der Geiselnehmer bedeckt hält und nur seine Drohung bekräftigt, nach Ablauf der Frist die Geiseln zu ermorden, spekulieren Polizei und Medien über die Hintergründe und entwickeln immer abstrusere Theorien. Den Bewohnern wird klar, dass sie selbst die Sache in die Hand nehmen müssen, wenn das Ganze nicht in einer Katastrophe enden soll.
Was wie ein dumpfer Action-Thriller klingt, ist in Wahrheit eine unterhaltsame Mischung aus warmherziger Kleinstadtkomödie, vergnüglicher Polit-Satire und spannendem Krimi. Egal an welchem Ort, zu welcher Jahreszeit und zu welcher Tageszeit man das Buch liest, man fühlt sich sofort von der Atmosphäre eines kleinen italienischen Dörfchens gefangen genommen, selbst wenn man das Land nur aus dem Fernsehen kennt.
Die skurillen Figuren tun ihr Übriges dazu. Wie Donato, dessen neuer Fiat ebenfalls von dem Raketenwerfer zerstört wurde und der sein Schlafzimmer an ein Fernsehteam vermietet, weil man von dort aus einen guten Blick auf das Geiselhaus hat. Oder die alte Constanza, die in Gedanken immer noch den Zweiten Weltkrieg durchlebt und in den schwarzen Uniformen des italienischen Sondereinsatzkommandos die ehemaligen deutschen Besatzer sieht. Alle Landsleute, die sich ihr in den Weg stellen, sind in ihren Augen Kollaborateure. Sie widmet sich mit Hingabe dem Widerstand gegen die vermeintlichen feindlichen Soldaten.
Das Allerwichtigste bei einer Minestrone, das, worauf es wirklich ankam, was den Unterschied ausmachte und den Genuss zu einem unvergesslichen Erlebnis werden ließ, war jedoch die Brühe. (…) Constanza warf ein Lorbeerblatt und ein wenig Petersilie in die sanft brodelnde Flüssigkeit. Dann kippte sie aus dem kleinen braunen Fläschchen einen Spritzer Jod dazu. (…) Auf das destilierte Wasser verzichtete Constanza und nahm dafür etwas mehr Fleckenentferner. (…) Die Flüssigkeit in der Flasche mit dem verblassten Totenkopf auf dem Etikett schien ziemlich würzig zu sein. Also lieber nur ein paar Tropfen zugeben. Hoppla! Na ja, es war ja auch eine Riesenportion Suppe. Am Schluss kam die Hauptsache, das Rizinusöl. Eine halbe Flasche davon musste Constanza schon nehmen. Sie wollte nicht am falschen Fleck sparen.
Nach »Die Vipern von Montesecco« (2005) und »Die Drachen von Montesecco« (2007) der dritte Montesecco-Roman. Die Geschichten sind in sich geschlossen, können also in beliebiger Reihenfolge gelesen werden, und sind alle gleichermaßen zu empfehlen.
Bernhard Jaumann: Die Augen der Medusa | Deutsch
Aufbau Verlag 2008 | 296 Seiten | Jetzt bestellen