Seine beiden Kollegen aus der Linkspartei haben es vorgemacht: Jan Korte und Raul Zelik haben in der letzten Zeit Bücher veröffentlicht, in denen sie sich Gedanken machen über die Möglichkeiten, Ziele und Strategien linker Politik in Deutschland. Die Bücher eint einiges, aber es gibt natürlich auch gewichtige Unterschiede.
Als erstes stellt sich jedoch die Frage, warum ausgerechnet jetzt derartige Publikationen erscheinen. Die kürzeste Antwort: Weil sich die Linke politisch neu ausrichtet. Und zwar weltweit. Jeremy Corbyn hat zum Beispiel die linken Sozialdemokraten und Sozialisten in der Labour Party geeint und auch für viele Neueintritte gesorgt, die die alte Arbeiterpartei – seit den 90er Jahren neoliberal ausgerichtet – deutlich nach links gerückt hat. Und auch in den USA geschieht ähnliches. Bernie Sanders ist dort die Symbolfigur, doch noch mehr ist langfristig mit Alexandria Ocasio-Cortez zu rechnen, die viel dazu beiträgt, die Linken innerhalb der Demokratischen Partei zu vernetzen und zu pushen.
In Deutschland ist der Fall natürlich etwas anders gelagert. Das Mehrheitswahlrecht in den USA führt dazu, dass Personen, die politisch deutliche Unterschiede aufweisen, trotzdem gemeinsam in einer Partei sind. Bei den amerikanischen Demokraten teilen sich also Neoliberale, Linksliberale und Linksradikale ein Parteilabel. In Deutschland ist das nicht so. Hier gibt es für Sozialdemokraten und Sozialisten zwei relevante Parteien: die SPD und die Linkspartei. Und auch die Grünen kann man zumindest noch partiell zu diesem »Lager« zählen, auch wenn die Parteiführung derzeit sehr mit der Union liebäugelt. Diese Konstellation sorgt dafür, dass man den Eindruck hat, dass sich die Politikerinnen und Politiker der beiden erstgenannten Parteien über die Organisationsgrenzen hinweg mitunter näher sind als innerhalb ihrer eigenen Parteien. Kevin Kühnert würde sich auch bei den Linken ganz gut machen und auch Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind deutlich sozialer ausgerichtet als der aktuelle Kanzlerkandidat Olaf Scholz – auch wenn diese ihn selbst vorgeschlagen haben, als eine Art kleinsten gemeinsamen parteiinternen Nenner.
Bernd Riexinger macht in seinem Buch »System Change« deutlich, dass er sich dieser Situation bewusst ist. Eine Änderung des politischen Paradigmas – hin zu einer sozialen und ökologischen Politik – sei nur möglich ist, wenn Linke, SPD und die Grünen zusammenrücken. Und dabei ihre spezifischen Kernkompetenzen einbringen und ihre jeweiligen Zielgruppen mobilisieren. Doch Riexinger geht noch weiter: Er vertritt die Ansicht, dass die Übernahme einer Regierung alleine nur wenig bewirkt, wenn der Rest des Staates und die Zivilgesellschaft – hier erweist er sich als gelehriger Schüler des italienischen Philosophen und Politikers Antonio Gramsci – die Mitarbeit verweigert.
Doch was soll eigentlich geändert werden? Was ist dieser »Green New Deal« überhaupt, von dem Riexinger spricht?
»Der Kerngedanke eines sozialen und ökologischen Systemwandels, eines linken Green New Deal ist einfach erklärt: Kein Mensch darf gezwungen werden, sich zwischen einem guten Leben im Hier und Jetzt und der Zukunft unseres Planeten entscheiden zu müssen. Keine Arbeiterin und kein Arbeiter darf gezwungen werden, sich zwischen einem guten Arbeitsplatz und der Zukunft ihrer oder seiner Kinder entscheiden zu müssen. Wir können das Klima nur retten, indem wir in sinnvolle Arbeit und soziale Sicherheit für alle investieren und dabei den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und Infrastruktur voranbringen. Eine Mammutaufgabe.«
Eine Mammutaufgabe, die er durchaus näher definiert. »Infrastruktursozialismus«, »funktionale Daseinsvorsorge«, Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und die »Umverteilung von Einkommen und Vermögen« seien hier als Eckpunkte genannt, ebenso wie radikaler Umweltschutz und eine ökologische Transformation der Industrie. Dies gelingt, so Riexinger, wenn die Beschäftigten die Prozesse mitgestalten. Der linke Green New Deal setzt auf demokratische Mitbestimmung in »Arbeit, Wirtschaft und Kommunen«. Es ist an dieser Stelle nicht genug Platz, um Riexingers Argumentationsketten in Gänze nachzuzeichnen und die detaillierten Vorschläge im einzelnen vorzustellen. Umso mehr lohnt sich die Lektüre des Buches, das vom Verlag als »Flugschrift« annonciert wird. Es handelt sich also vor allem um ein leicht verständliches Sachbuch.
Gleichzeitig ist es jedoch auch ein Aufruf zum politischen Engagement:
»Mehr Macht entsteht in gesellschaftlichen Bündnissen, die sich auf ein gemeinsames Projekt verständigen, in dem ihre Forderungen und Ziele enthalten sind und sich mit denen anderer Akteure verbinden. Dabei geht es um mehr als die bloße Summierung der einzelnen Bewegungen. Es geht um eine neue politische Qualität, um einen Schulterschluss von Gewerkschaften (…) sozialen, ökologischen, demokratischen Bewegungen und Initiativen für eine solidarische Gesellschaft (…). Nur wenn es gelingt, eine überwältigende Mehrheit der Menschen zu überzeugen und zu begeistern kann ein erneuerter demokratischer Sozialismus Erfolg haben.«
Das ist nicht nur ein hehres Ziel, sondern in der Tat eine »Mammutaufgabe«, die jedoch langfristig durchaus zu bewältigen ist, da die Zeiten neoliberaler Hegemonie in der Gesellschaft definitiv vorbei sind. Die Finanz- und Wirtschaftskrisen der letzten Jahre, die katastrophalen sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie (die von der Regierung weitestgehend ignoriert werden) und der (un)aufhaltsame Aufstieg der Rechtsextremen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Die drohende Klimakatastrophe zwingt umso mehr zu einem zügig herbeigeführten Paradigmenwechsel in der Politik. Diese Buch beitet wertvolle Anregungen für dieses Umdenken.
Bernd Riexinger: System Change | Deutsch
VSA Verlag 2020 | 144 Seiten | Jetzt bestellen