Es gibt einen Moment kurz nach dem Aufwachen, der keine Vergangenheit und keine Zukunft kennt, nur leichte, unschuldige Gegenwart. Babysüß liegt man im Bett und weiß von nichts Bösem. Dann fährt das Hirn hoch und lädt ein paar ausgesuchte Erinnerungen und die Beurteilungs-Software in den Arbeitsspeicher. Von einer Sekunde auf die andere verwandelt sich Leichtigkeit in Qual. Der morgendliche Sündenfall. Anders ausgedrückt: Als ich diesen Morgen aufwachte, stieß mir ein greller Gnom unvermittelt einen Dolch in die Brust.
Max Wesendonck, 192 Zentimeter groß und viel, viel zu schwer, ist bereits seit der gemeinsamen Schulzeit unsterblich in Katja verliebt. Inzwischen haben sie beide ihr Philosophiestudium abgeschlossen und versuchen, mit dem erworbenen Wissen ihr Leben zu bestreiten. Sie erhalten das Angebot, mit einer Mittelalterband namens »Kobold« auf eine halbjährige Tournee zu gehen, und da Katja es unbedingt möchte, kann auch Max nicht ablehnen.
Es gibt aber noch einen zweiten Anreiz: Sie hat mit ihm gewettet, ihn zu heiraten, falls er es schafft, einen beträchtlichen Teil seines Übergewichtes zu verlieren. Und so wandelt sich Max zu einem Schalmeinenbläser namens Bombastus von Witterschlick, trinkt Met aus Hörnern und umwirbt Sancta Benedicta, Wanderpäpstin und Gegenhure (alias Katja).
Am Anfang war es nur das Cover, das mich neugierig machte, aber schon nach der ersten Seite wusste ich, hier erwartete mich eine lohnende Lektüre. Max ist ein sympathischer Ich-Erzähler, dem in Momenten großer Not stets Altkanzler Helmut Schmidt erscheint, um zwischen zwei Lungenzügen dringend benötigte Weisheiten zu verbreiten. Und Hilfe kann Max brauchen. Nicht nur, weil Katjas Ansagen bei den Live-Auftritten immer länger werden, sondern auch von Auftritt zu Auftritt provozierender.
Auf der Hochzeitsfeier, die ein hessischer Waffenfabrikant für seinen Sohn organisiert, droht die Stimmung zum ersten Mal zu kippen. Richtig bedrohlich wird es allerdings im Harz, als Katja von der Bühne aus eine Gruppe Neonazis zum Kanonsingen eines Ärzte-Liedes auffordert. Nach dem Auftritt lauern die Blamierten ihnen vor dem Tourbus auf.
Das Buch bietet einen interessanten Einblick in eine musikalische Subkultur. Die Auftritte sind mitreißend beschrieben, weshalb eine Umsetzung als Hörbuch mit Liedern eine gute Idee gewesen wäre. Es könnte aber auch als Vorlage für eine gute Kinokomödie dienen.
Die Weltsicht von Max und seine treffenden Beschreibungen der eigenen Schwächen und derer seiner Mitmenschen sind urkomisch. Ebenso Namen wie Bärwolf von Hardtberg, genannt 50 Kupferlinge (angelehnt an einen bekannten Rapper). Zwar zünden die philosophischen Wortgefechte nicht immer und das Ende des Buches empfand ich als weniger geglückt, doch das ist eher meinem persönlichen Geschmack geschuldet und nicht dem Autor anzukreiden. Im Gegenteil, ich werde nach der Lektüre von Helden in Schnabelschuhen Ausschau nach anderen Werken von Anselm Neft halten.
Anselm Neft: Helden in Schnabelschuhen | Deutsch
Albrecht Knaus Verlag 2014 | 288 Seiten | Jetzt bestellen