Anette Hinrichs: Nordlicht - Die Spur des MördersDer Fall selbst ist ja eigentlich ganz gut konstruiert, aber sprachlich ist das hier eine entsetzliche Frechheit, ein Krimi, wie es sich ein des Schreibens unkundiger Leser vorstellt, dass er geschrieben sein müsste, ohne eigenen Stil, ohne Fantasie, nach dem Baukastenprinzip für das, was Leute, die am liebsten »alles im Radio« hören, als »gutes Buch« bezeichnen, entstanden nach dem Absolvieren des Grundkurses »Schreiben für Dummys«. Nix gegen die Recherchearbeit der Autorin, das gibt ein Fleißbienchen, und nix gegen ihre politisch einwandfreie Haltung, aber mit deutlich weniger Seiten, einem eigenen Stil, gesteigertem Tempo und etwas Humor hätte es vielleicht sogar Vergnügen bereitet, diesen zweiten Teil der ahnungsvoll einfallslos betitelten Reihe »Nordlicht« zu lesen.

Hier ist aber auch alles Klischee. »Nordlicht« als Serienbezeichnung, geh weg! »Die Spur des Mörders« als zweiter Teil, nach »Die Tote am Strand«, vor »Die Tote im Küstenfeuer«, da kann man sich ja so richtig etwas drunter vorstellen, das weicht ja sowas von ab von anderen Lokalkrimireihen ambitionierter Amateurautoren, von Titeln wie »Elbtraum«, »Dünenmord«, »Mordheide«, »Ostseerache«, »Spreewaldrache«, geil, jetzt also »Die Spur des Mörders«.

Egal, steigen wir eben ein in den Fall, der so blutig beginnt, wie es die Autorin wohl in Skandinavien gelernt hat, mit einem Mann, der an einem Denkmal in Flensburg totgetreten wird. Appetitlicher Auftakt! Der Wucht dieses Todes ist Hinrichs jedoch sprachlich kein Stück gewachsen. Alles, was folgt, ist betulich und so harm- wie seelenlos: Sie schreibt ganz akkurat, indem sie Versatzstücke verwendet, die sie woanders bereits zehntausendfach vorgesetzt bekam, von denen sie also glaubt, dass ein »gutes Buch« daraus besteht, und die reiht sie akkurat aneinander, nur geht es dem Lesenden ja ebenfalls so, dass er diese Floskeln bis zum Erbrechen kennt und daher schnell durchblickt, dass die Autorin sich nicht die Mühe macht, für ihre eigene Geschichte auch eigene Worte zu finden. Da nimmt jemand einen »kräftigen Schluck«, da »wechseln sie ein paar Worte«, da »hatte sie einen Kloß im Hals«, da hat jemand »ein teigiges Gesicht«, und so banal wie der Text sind auch die Figuren gezeichnet. Man möchte schreien und die Autorin schütteln und ihr zubrüllen: Drück es doch mal mit deinen eigenen Worten aus! Finde doch einen Stil, der zu diesem Inhalt passt! Aber nein, alles ist harmlos, auch die Figuren und ihre Probleme sind es, dabei geht es hier um knallharte Motive. Es passt nicht.

Dazu kommt, dass Hinrichs um Exaktheit und Ausführlichkeit bemüht ist, aber dann nicht die Fantasie hat, ihre Bilder auch vollständig auszumalen; ständig schreibt sie »ein paar«, wo sie so genau sein könnte wie bei der Beschreibung des restlichen Bildes. Da brüten Leute über »ein paar Unterlagen«, da spielen am Strand »ein paar Kinder«, da stehen im ansonsten ausführlich geschilderten Raum plötzlich nur »ein paar Stühle« herum, sowas in der Art. Das nervt ungemein und hat den unschönen Geschmack von gleichgültiger Nachlässigkeit der Autorin.

Außerdem ist dieses Buch viel zu dick. Selbstredend ist ihre Recherchearbeit zu preisen, doch hätte Hinrichs die Ergebnisse nicht wie seelenlose Lexikoneinträge einflechten sollen. Zudem bringt sie ihre eigene Betroffenheit dem Thema gegenüber dadurch zum Ausdruck, dass sie ihre Ermittler betroffen sein lässt, was auch nur wie ein Klischee anmutet und nicht wirklich zu deren Rolle als Kriminalprofis passt.

Auch flicht Hinrichs pflichtschuldigst zu einem Standard-Krimi gehörende Randgeschichten und –geschehnisse ein, die den Ablauf der Ermittlungen jedoch nur stören und die den Anschein erwecken, es mit kompletten Amateurpolizisten zu tun zu haben. Die Figuren sind offenbar so ratlos wie die Autorin angesichts von Polizeiarbeit. Da sitzen gelegentlich Medien und Vorgesetzte den Ermittlern im Nacken, die aber nur tagelang irgendwo dünnen Erkenntnissen nachjagen und in der Pampa herumdömmeln. Mehr Tempo, Kinners! Sonst büxt der Mörder noch aus. Oder der Leser. Die Kriminalpersonen haben natürlich auch noch dunkle persönliche Schicksale, auch das hat Hinrichs bei Skandinaviern gelernt, und auch das vermittelt sie nur klischeehaft. Gotteswillen.

Wesentlicher Aspekt der willkürlich betitelten Reihe »Nordlicht« ist die polizeiliche Zusammenarbeit von Deutschland und Dänemark im Grenzgebiet zwischen Schleswig-Holstein und Südjütland. Dafür bereiste die Autorin Dänemark kreuz und quer und beschreibt die Schauplätze anschaulich, das schon, versteift sich dann aber darauf, die Unterschiede zwischen Deutschen und Dänen auch wieder nur in Klischees abzuhandeln. Ist ja gut! Und dann noch so humorlos. Wie überhaupt das ganze Buch. Kein Vergnügen.

Dann schafft es Hinrichs auch noch, den tatsächlich recht komplexen Fall so spannungsarm wie möglich darzustellen. Bis auf den Mord am Anfang und einem verstorbenen Neunundneunzigjährigen gibt es keine Toten, aber auch nicht mal eine Art von Bedrohung für irgendwen. Die im Keller des Toten niedergeschlagene Polizistin trägt zwar ein Trauma davon, aber in Lebensgefahr stand sie nie. Auch die behördlichen Drohungen, das grenzübergreifende Team bei ausbleibenden Ermittlungserfolgen einzustampfen, erzeugen keine Spannung, schließlich weiß der Leser, dass es sich hier um eine Reihe handelt, da wäre die Autorin ja schön blöd, oder – doch vielleicht eher einfallsreich, wenn sie das auch mit aufgelöster Einsatzgruppe hinbekäme, aber das kann man Hinrichs ja nun wirklich nicht zumuten.

Der Fall: Aus heiterem Himmel wird Karl, Angehöriger der dänischen Minderheit in Flensburg, an einem Denkmal, das symbolisch für die Freundschaft von Deutschland und Dänemark steht, zertrampelt. »Die Spur des Mörders«, der das »Ermittlerteam« um Vibeke Boisen aus Deutschland und Rasmus Nyborg aus Dänemark nachgeht, ist mehr als nur eine, das macht Hinrichs gut, wie sie schlüssige Fährten in Richtung Erbschaftsstreit, verschwiegene Vaterschaft, Eifersucht und Wirtschaftskriminalität legt, alles basierend auf historischen Fakten rund um Deutsch-Dänische Kinder, die im Zuge des Zweiten Weltkriegs in Lagern geboren wurden, und Karl war ein solches Kind. Und alle Polizisten weinen.

Wer dann letztlich den Typen zerlatschte, ist tatsächlich eine Überraschung und scheint auch stimmig zu sein. Nur ist der Weg bis zur Erkenntnis so mühsam, dass man das Buch beim besten Willen nicht empfehlen kann.

Anette Hinrichs: Nordlicht – Die Spur des Mörders | Deutsch
Blanvalet 2020 | 481 Seiten | Jetzt bestellen