Ali Hazelwood: Love, theoreticallyElsie Hannaway ist Assistenzlehrkraft, vermittelt ihr Wissen über theoretische Physik an der Universität und schreibt schon seit Jahren an ihrem Opus magnum über zweidimensionale Flüssigkristalle. Ihre Lehrtätigkeit ist jedoch die pure Verschwendung ihrer Fähigkeiten, und ihre Arbeit ist so schlecht bezahlt, dass sie sich mit ihrer besten Freundin Cece eine wenig heimelige Wohnung teilen muss und noch nicht einmal Geld für eine Krankenversicherung hat, was den Umgang mit ihrer Diabeteserkrankung nicht einfacher macht.

Das Loch in der Kasse bessert sie zusammen mit Cece durch Einsätze für eine Fake-Dating-Agentur auf. Die finanzielle Seite ist das eine große Problem Elsies, das andere ist ihre Persönlichkeit oder vielmehr ihre Nicht-Persönlichkeit bzw. die zwanghafte Unterdrückung derselben. Sie gibt jedem die Elsie, die man von ihr erwartet. Ihrer Freundin Cece spielt sie zum Beispiel eine Begeisterung für komatös langweile Kunstfilme vor und ihrer Mutter erscheint sie als die stets motivierte Schlichterin des ewig kindischen Kleinkrieges ihrer beiden Brüder. Eine Elsie für alle, nur nicht für sich selbst. Ihre eigenen Bedürfnisse versteckt sie hinter tausend Masken, weil sie Angst vor Liebesverlust hat. Sie möchte allen gefallen, um geliebt und akzeptiert zu werden.

Bei einem dieser Treffen lernt sie Greg kennen, den sie als Pseudofreundin zu Familientreffen begleitet. Sie gibt sich als Bibliothekarin aus, um ihr Privat- und Berufsleben zu schützen, so gut es eben geht. Greg hat einen Bruder, der für Elsie ihre absolute Nemesis darstellt: Jack Smith-Turner, eine Koryphäe auf dem Gebiet der experimentellen Physik und der Mann, der im zarten Alter von 17 Jahren einen Text veröffentlicht hat, der nicht nur dafür gesorgt hat, dass ihr Mentor Dr. Laurendeau seinem Posten als Chefredakteur bei »Annals of Theoretical Physics« abgeben musste, sondern auch bei der Vergabe von Forschungsgeldern die Theoretiker arg ins Hintertreffen hat geraten lassen. Für ihn ist die theoretische Physik nur Geschwafel, ein Strauß bunter Ideen ohne wirklichen Realbezug. Elsie hasst ihn leidenschaftlich.

Die Ressentiments und die Gräben zwischen den beiden scheinen schier unüberwindlich, und auch wenn sie ihm lange Zeit geradezu die Pest an den Hals wünscht, weil er sowohl ihre Karriere als auch die vieler anderer massiv negativ beeinflusst (und in manchen Fällen sogar zerstört) hat, durch die Veröffentlichung besagter Schmähschrift, ist da etwas zwischen ihnen und langsam, ganz langsam, begeben sich beide auf steinigen Wegen aufeinander zu, um sich schließlich eingestehen zu müssen, dass sie entgegen aller Wahrscheinlichkeiten im jeweils anderen die Liebe ihres Lebens gefunden haben.

»Love, theoretically« ist – natürlich – in erster Linie ein Liebesroman, aber einer der qualitativ hochwertigen Sorte. Man merkt dem Buch zu jeder Zeit an, dass es von einem sehr klugen Menschen geschrieben worden ist. Es fungiert im Übrigen auch prächtig als Kritik an der akademischen Welt hinsichtlich Auswahlverfahren und Ausbeutung von hochqualifizierten Arbeitskräften.

Wenn ich über die Liebe lesen mag, greife ich in der Regel zu einem Klassiker wie Jane Austen oder Henry James. Ali Hazelwood ist mit ihrem überaus klugen Buch nun in diese Phalanx eingebrochen.

Ali Hazelwood: Love, theoretically | Deutsch von Christine Strüh und Anna Julia Strüh
Ruetten und Loening 2023 | 537 Seiten | Jetzt bestellen