Wenn dort aber ein Eingeborenendorf lag, würde man ihn totschlagen wie einen Hund. Und falls er auf Soldaten stieß, würde man ihn erschießen, hängen oder bestenfalls in Ketten legen. Da stach ihm ein Geruch in die Nase – der Duft von heißem Haferbrei. Anton Rüter schnupperte, ungläubig erst noch, dann voller Gier. Kein Zweifel, seine von langem Hunger geschärften Sinne täuschten ihn nicht. Das war Haferbrei, vermutlich ohne Zucker und Salz zwar, wie ihn die Briten mochten, und höchstwahrscheinlich mit Wasser statt Milch zubereitet – aber unbestreitbar Haferbrei.
Der Schiffbauingenieur Anton Rüter hat ein Schiff entworfen, das man vor Ort in Afrika zusammensetzen kann. Mit zwei Helfern und fünftausend Kisten Schiffsteile reist er nach Deutsch-Ostafrika. Die Werftarbeiter, für ein Jahr von ihren Familien getrennt, arrangieren sich mit den Begebenheiten vor Ort. Sie organisieren Essen, Bier und später auch Sex bei den Eingeborenen. Sie schließen Freundschaft mit arabischen Händlern und einheimischen Arbeitern, und einer der drei zieht sogar ein Gepardenjunges groß. Alles hätte bis zum Ablauf ihres Vertrages so weitergehen können, aber dann marschieren deutsche Truppen ein, und das bisherige Leben wird komplett umgekrempelt. Der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen. Es geht um die Vorherrschaft auf dem Tanganikasee.
Ihr Gegenspieler, der britische Oberstleutnant Geoffrey Spicer Simson, dümpelt seit 1000 Tagen mit seinem Dampfboot in Gambia herum, nutzt seine kurzen Urlaube, um mit exzentrischen Ideen seine Nachbarn zu vergraulen und wartet auf den großen, wichtigen Einsatz. Nach einem längeren Aufenthalt in England, bei dem er durch zahlreiche Pannen das Kommando über sein Schiff verliert und zu einem Schreibtischjob verdonnert wird, erhält er endlich den langersehnten wichtigen Auftrag. Er soll die Dampfschiffe der Deutschen vernichten. Spicer Simson transportiert zwei Boote von Kapstadt aus auf dem Landweg zum See. Die Konfrontation scheint unausweichlich.
Der Weihnachtstag verlief ereignislos. Die Arbeit war erledigt, wir hatten alles getan, was zu tun war. Jeder von uns wusste, dass jetzt nur noch das Warten blieb, und dann würde das Schießen beginnen, das Töten und das Leiden und das Sterben in einem fremden Land unter fremden Menschen für eine Sache, die jedem Einzelnen von uns im Grunde genommen fremd und unverständlich war. Nachmittags spielten wir Kricket, abends betranken wir uns mit schottischem Whisky und gingen früh zu Bett, wie es in den Tropen üblich ist.
Die Geschichte beruht auf tatsächlichen Ereignissen. Dies merkt man schon daran, dass sich der Konflikt nicht zu einem hollywoodtypischen Showdown zuspitzt, sondern verhältnismäßig unspektakulär endet. Wie im richtigen Leben, und das ist auch gut so. Die Sprache ist prägnant und lakonisch, was dem Roman einen unverwechselbaren Tonfall gibt. Sachlich und völlig wertfrei werden die wildesten Kapriolen der Protagonisten erzählt. Besonders Spicer Simson erinnert in fast jeder Szene an Inspektor Clouseau: überheblich, starsinnig, arrogant und absolut unfähig.
Wem »Die Vermessung der Welt« von Daniel Kehlmann gefallen hat, der kann hier bedenkenlos zugreifen. Wer zu dem Thema selbst weiterlesen möchte, dem kann ich William Boyds Roman »Zum Nachtisch Krieg« empfehlen.
Alex Capus: Eine Frage der Zeit | Deutsch
Knaus 2007 | 304 Seiten | Jetzt bestellen