Agustina Bazterrica: Wie die SchweineDiese Buchkritik muss ausnahmsweise mit dem Aussehen des Buches beginnen. Wir halten gefühlt ein frisches Stück Fleisch in den Händen, auf dem Cover prangt es glänzend mit einem geringen Fettanteil behaftet, offenbar in Folie verpackt, wenn ich die weißen Streifen richtig deute, die sich über die Ware ziehen. Das Fleisch sieht gesund aus, leuchtend rot, definitiv kein Gammelfleisch, und wer würde das auch schon kaufen, nicht einmal in Buchform.

Titel, Autorin und weitere wichtige Informationen prangen auf der Titelseite in Form eines stilisierten Aufklebers, wie man ihn von den kleinen Plastiktüten beim Metzger kennt. Das Selbstklebe-Etikett wird auf die Tüte gepappt und die Ware zugetackert, über die Theke gereicht, einen schönen Tag noch.

Mein erster Gedanke, als ich das Buch in Händen hielt: Den Aufkleber mache ich aber ab (ich mag generell keine Aufkleber auf Büchern), bis ich gemerkt habe, dass das gar kein Aufkleber ist, sondern ein ziemlich geniales Design. Vom Layout wie gerade erwähntes Selbstklebe-Etikett gestaltet, wird der Leser zusätzlich noch über das Gewicht des Buches informiert (0,292 kg), es gibt einen Barcode zum schnelleren Einscannen und Verarbeiten der Informationen, rechts unten prangt der Preis, die Schriftart auf dem Etikett entspricht der, wie wir sie vom Metzger kennen. Oberhalb des Preises die Information, die einem dann die Schuhe auszieht: 100%, daneben kein Tier, sondern das Symbol eines Lebewesens auf zwei Beinen. Genau, wir reden hier von – Menschenfleisch. Kurzum: Alleine das Design des Buches ist schon das Geld wert.

Die Tiere dieser Welt sind von einem Virus befallen, der für den Menschen tödlich ist. Das bedeutet, der Verzehr von Tierfleisch ist nicht mehr möglich, und so gehen die Menschen dazu über, sich selbst zu essen: Menschenfleisch als von der Regierung diktiertes Grundnahrungsmittel. Die Hauptfigur des Buches ist Marcos, der eine gewichtige Postion innerhalb einer Schlachterei innehat. Wir begleiten ihn bei der alltäglichen Ausübung seines Berufes. In nüchterner Sprache wird sein Tagesablauf dokumentiert, sei es Beschaffung von Neuware, Kundengespräche oder die Überwachung des Produktionsablaufes, nur dass in dieser Metzgerei halt keine Tiere, sondern Menschen zu Fleisch verarbeitet werden; Menschen, die hier Stücke genannt werden. Depersonalisierung hilft ungemein, etwaige moralische Bedenken zu verdrängen und schließlich muss man das Ganze ja auch mal rational betrachten, denn hier handelt es sich um ein Wirtschaftsunternehmen, und auch die Hand eines »Stücks« ist im Endeffekt nur eine schnöde Ware.

Agustina Bazterrica führt Leserinnen und Leser durch den kompletten Produktionsprozess, den wir durch Marcos‘ Augen sehen. Ihr Protagonist ist eine zerrissene Persönlichkeit, die im Gegensatz zu vielen anderen nicht abgestumpft ist und neben dem Wahnsinn, den sie täglich auf der Arbeit sieht und nicht mehr ertragen kann, auch mit sehr persönlichen Problemen zu kämpfen hat, die in der eigenen Familie begründet sind.

Manche Szenen des Buches sind sehr hart und makaber, aber der Autorin gelingt es sehr gut, die Rücksichtslosigkeit und den Egoismus des Menschen plakativ darzustellen. Das Buch regt zum Nachdenken an und hinterfragt das Verhalten unserer Gesellschaft. Die Verarbeitung von Menschen zu Fleisch ist natürlich pure Symbolik und der Schockeffekt wirkt auch nach dem Lesen des Buches nach. Es sind die Fragen, die das Buch aufwirft, die wirklich wichtig sind. Wie ist das Verhalten des Menschen zu bewerten in Bezug auf Tiere und auch auf die eigene Spezies? Welchen Preis bezahlen wir für unser Ellenbogendenken? Ist der Mensch wirklich die Krone der Schöpfung oder nicht vielmehr der schlimmste Parasit, den es je gegeben hat? Von der Kritik an der politischen Führung, nicht nur in Argentinien, wollen wir hier gar nicht erst reden.

Agustina Bazterrica: Wie die Schweine | Deutsch von Matthias Strobel
Suhrkamp 2020 | 236 Seiten | Jetzt bestellen