Géraldine Dalban-Moreynas: An Liebe stirbst du nichtFreudvoll / Und leidvoll, / Gedankenvoll sein, / Hangen / Und bangen / In schwebender Pein, / Himmelhoch jauchzend, / Zum Tode betrübt – / Glücklich allein / Ist die Seele, die liebt. (Johann Wolfgang von Goethe in »Klärchens Lied«, Egmont, 3. Aufzug, 2. Szene)

Jeder, der schon einmal bis über beide Ohren verliebt war, kennt dieses Gefühl. Jeder kennt auch den schmerzvollen Prozess des Sich-wieder-Entliebens. Insofern ist die Geschichte im Romandebüt der französischen Autorin Géraldine Dalban-Moreynas »An Liebe stirbst du nicht«, erschienen bei Nagel & Kimche, auf den ersten Blick nicht besonders spektakulär. Sie passiert täglich unzählige Male.

Zwei Menschen, die in einer festen Beziehung leben, verlieben sich ineinander – von einer Minute auf die andere. In dem von Sina de Malafosse ins Deutsche übersetzten Roman geschieht dies so heftig, dass die beiden zum einen der körperlichen Anziehung geradezu verfallen, und zum anderen auch ihre Gefühle auf einer Wellenlänge liegen. Es knistert gewaltig in dem kleinen Büchlein.

An einem Novembersonntag in Paris begegnen sich Elle und O. zum ersten Mal. Sie, eine erfolgreiche Journalistin, ist gerade mit ihrem ebenso erfolgreichen Freund in ein renoviertes, großes Loft gezogen. Er, ein Geschäftsmann, wohnt mit seiner Frau und der kleinen Tochter im selben Haus. Hier beginnt das Intermezzo einer leidenschaftlichen Liebe. Doch wie viel Leid erträgt die Leidenschaft für den anderen? Soll man für die Liebe alles auf eine Karte setzen? Sind es die Schmerzen am Ende wert? Oder lassen sie sich gar vermeiden, wenn man seine Gefühle im Zaum hält?

Elle stürzt sich ohne derartige Vorbehalte in dieses Abenteuer und gibt sich ihren Gefühlen für O. ganz und gar hin. Ergriffen von der Kraft ihrer Sinnesempfindungen geht es für beide nur noch darum, wann, wo und wie lange sie sich treffen können. Zahlreiche Dialoge und SMS zeugen davon, wie schwer es ihnen fällt, sich zu beherrschen. Wie Verdurstende ringen sie um jeden Tropfen Zweisamkeit. Süchtigen gleich spinnen sie ein Netz aus Lügen und Ausreden um sich herum. Das Geschehen driftet ins Unkontrollierbare und fördert tiefe menschliche Abgründe zu Tage.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das vermeintliche Glück wie eine Seifenblase zerplatzt. Elle und O. suchen mehrmals nach Auswegen. Spätestens jetzt wird die Leselampe einem Dauertest unterzogen. Man leidet, je mehr man sich in das sensible Innenleben der beiden Protagonisten hineinliest. Nicht nur ihre Nerven liegen blank. Werden Elle und O. in ihr altes Leben zurückkehren? Oder werden sie ein neues, gemeinsames Leben beginnen? Während Elle bereits ihre Koffer packt, weiß O., dass er seine Tochter verlieren würde.

Einerseits strotzt diese Amour fou vor Leidenschaft. Géraldine Dalban-Moreynas erzählt brillant und entgegen den Erwartungen, die man mit einer Liebesgeschichte verknüpft. Andererseits wirkt ihr Stil klar, kühl und distanziert, als werde das Erzählte von einer Forscherin seziert. Géraldine Dalban-Moreynas‘ Sprache schwebt wie eine Feder und bringt es am Ende mit einer SMS auf den Punkt: »Es gibt Geschichten, an deren Anfang man sich das Ende einfach nicht vorstellen kann.«

Géraldine Dalban-Moreynas: An Liebe stirbst du nicht | Deutsch von Sina de Malafosse
Nagel & Kimche 2020 | 192 Seiten | Jetzt bestellen