Jonathan Tropper: Sieben verdammt lange TageIch muss lächeln, auch wenn ich mich wie immer über die für meine Familie so typische Unfähigkeit aufrege, in Krisensituationen Gefühle zu zeigen. Jeden Anlass, der eigentlich nach aufrichtig zum Ausdruck gebrachten Emotionen verlangt, schmälern oder pervertieren wir Foxmans umgehend durch unsere hauseigene, genmanipulierte Mischung aus ironischen und ausweichenden Kommentaren. Wir kämpfen uns durch Geburtstage, Feiertage, Hochzeiten und Krankheiten, indem wir uns gegenseitig aufziehen, auslachen oder beleidigen. Jetzt ist Dad tot, und Wendy redet dumm daher. Geschieht ihm recht, schließlich war er, wenn es ums Unterdrücken von Gefühlen ging, immer an vorderster Front dabei, sozusagen als Vorreiter.

Der Vater ist gestorben und obwohl er zu Lebzeiten nicht sonderlich gläubig war, verlangt er als letzten Wunsch von seiner einander entfremdeten Familie, dass sie sieben Tage Schiwa für ihn sitzen, die traditionelle jüdische Totenwache. Während dieser brechen alte Konflikte wieder auf. Da wäre der frisch verlassene Erzähler Judd, dessen Frau mit seinem Chef fremdging. Judd ist zu verletzt, um für seine Ehe zu kämpfen und hat einen aggressiven Schutzwall errichtet. Doch dann taucht seine Frau Jen bei der Totenwache auf, mit einer unglaublichen Neuigkeit.

Dann gibt es noch den zuverlässigen und als spießig verschrieenen Paul, der das Familienunternehmen zusammen mit dem Vater geleitet hat und verzweifelt versucht, seine Frau Alice zu schwängern, die früher mit Judd liiert war. Eine Tatsache, die immer wieder zu Streit zwischen den Brüdern führt. Schwester Wendy sieht sich selbst als Fels in der Brandung, versteht es aber auch meisterlich, durch wohlplazierte Bemerkungen, Öl ins Feuer zu gießen. Und zuletzt noch Problemkind Phillip, der inzwischen mit seiner wesentlich älteren Therapeutin liiert ist.

Phillip ist der Paul McCartney unserer Familie: Er sieht besser aus als der Rest von uns, blickt auf Fotos immer in eine andere Richtung, und hin und wieder geht das Gerücht, er sei gestorben. Als Nesthäkchen der Familie wurde er abwechselnd verhätschelt und ignoriert – vielleicht ein entscheidender Faktor dafür, dass er sich zu einem letztendlich so verkorksten Erwachsenen entwickelt hat. Im Moment lebt er in Manhattan, wo man ziemlich früh aufstehen müsste, um eine Droge zu finden, mit der er noch nicht herumexperimentiert hat, oder auf ein Model zu treffen, das er noch nicht gevögelt hat. Er verschwindet jeweils für mehrere Monate vom Radar, um dann eines Tages unangekündigt zum Abendessen zu erscheinen und ganz nebenbei – oder auch nicht – zu erwähnen, dass er im Gefängnis war, oder in Tibet, oder soeben mit einer schauspielernden Beinahe-Berühmtheit Schluss gemacht hat.

»Sieben verdammt lange Tage« ist ebenso komisch wie rührend. Tropper beherrscht die Balance zwischen lautem Slapstick und leisen, anrührenden Szenen perfekt. Man leidet mit den Beteiligten, wenn die Trauergesellschaft über Babyfon den Zeugungsversuchen von Paul und Alice lauschen muss. Man spürt einen Kloß im Hals bei der Schilderung von Jens Fehlgeburt oder erlebt die Mischung aus Wut und Trauer, als Judd sie beim Seitensprung erwischt. Man empfindet Genugtuung, wenn sich die Brüder am Auto des Lieberhabers vergreifen, genießt die lautstärken Wortgefechte zwischen den Geschwistern und gönnt ihnen die Jointpausen im Badezimmer.

Dass der Leser dies tut, verdankt das Buch seinen durchweg glaubwürdigen Figuren. Oft ertappt man sich während des Lesens bei dem Gedanken, dass es sich um die eigene Familie handeln könnte oder dass man Leute kennt, die ganz genauso sind, wie die geschilderten. Ganz plötzlich verspürt man Vorfreude auf das nächste, eigene Familientreffen.

Jonathan Tropper: Sieben verdammt lange Tage | Deutsch von Birgit Moosmüller
Knaur 2010 | 448 Seiten | Jetzt bestellen