Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte»Die Weltereignisse im Jahre 1813, an denen ich nicht tätigen Anteil nehmen durfte – ich hatte ja kein Vaterland mehr, oder noch kein Vaterland, – zerrissen mich wiederholt vielfältig, ohne mich von meiner Bahn abzulenken. Ich schrieb in diesem Sommer, um mich zu zerstreuen und die Kinder eines Freundes zu ergötzen, das Märchen Peter Schlemihl, das in Deutschland günstig aufgenommen und in England volkstümlich geworden ist.« (Adelbert von Chamisso)

Zugegeben, Chamissos Märchen »Peter Schlemihls wundersame Geschichte« in der Ausgabe des Kunstanstifter-Verlages ist schon einige Jahre zu haben. Dennoch üben die Illustrationen von Franziska Walther und die Einheit von Buchgestaltung, Typografie und Text immer noch einen unwiderstehlichen Reiz aus.

Der sprichwörtliche »Pechvogel«, Unglücksrabe und Narr; der »Schlamassel«, wie man in der ostjüdischen Kultur sagt, hatte es im 19. Jahrhundert auch anderen Autoren angetan. E.T.A. Hoffmann veranschaulicht das Schicksal des Protagonisten in seiner »Geschichte vom verlorenen Spiegelbild«, Jacques Offenbach verewigt Schlemihl als Nebenbuhler in seinen berühmten Hoffmanns Erzählungen. Drei Jahrzehnte später wagen sich Friedrich Christoph Förster und Ludwig Bechstein an zwei Fortsetzungen und Hans Christian Andersen schreibt sein Märchen »Der Schatten«.

Mit einem Empfehlungsschreiben für eine neue Anstellung sucht Peter Schlemihl nach einer anstrengenden Seefahrt den reichen Kaufmann Thomas John auf. Im dortigen Garten fällt ihm ein merkwürdiger grauer Herr auf, der vom türkischen Teppich bis hin zum Feierzelt alles aus seiner Tasche zaubern kann. Ein paar Tage später begegnet Schlemihl ihm wieder und verkauft dem Unbekannten seinen Schatten gegen ein Säckel voller Gold, das nie versiegt.

Von nun an meiden ihn die Menschen. Bemerken sie seine Schattenlosigkeit, halten sie sich aus Angst vor ihm fern oder verspotten ihn. In einem fernen Badeort richtet sich Peter Schlemihl mit Hilfe seines treuen Dieners Bendel so ein, dass seine Schattenlosigkeit anfangs nicht auffällt. Doch die Liebe zu der schönen Mina und der Verrat durch seinen hinterhältigen zweiten Diener Rascal lassen den Helden der Geschichte in große Not geraten.

Chamisso verwendet für sein fein gesponnenes Märchen die im 19. Jahrhundert populäre Briefform und verarbeitet darin eine selbst erlebte Begebenheit. Freilich ist die Geschichte sprachlich ganz in ihrer Zeit gefangen, dennoch liest sie sich eingängig. Die drei Elemente aus dem Märchen (Glückssäckel, Siebenmeilenstiefel, Teufelspakt) wecken die unerfüllten Wünsche des Lesers.

Schlemihls Ringen mit dem Teufel kratzt an den eigenen Wertevorstellungen. Warum ist der Verlust des Schattens so schlimm? Achten nur redliche Menschen auf ihn? Müssen Reiche immer einen solchen haben? Verlieren nur einfache Leute ihren Schatten während einer schweren Krankheit? Ist in ihm gar die menschliche Seele manifestiert? Ist Schattenlosigkeit ein Makel, der den Ausschluss aus der Gesellschaft zur Folge hat? Welche Symbolik dem Schatten zukommt, bleibt allein des Lesers Phantasie vorbehalten.

Genügend angeregt wird diese durch die wunderschönen Illustrationen von Franziska Walther, deren zum Teil doppelseitige Bilder eine ganz eigene Aussagekraft entwickeln. Lediglich drei Farben benötigt sie dafür: Dunkelgrün, Blau und Gelb. Ihre Schatten auf dem Umschlag und dem Hardcover wirken präsent, wichtig, überdimensional. Der Teufel als übler Bursche zaubert neben den erwähnten Dingen im Märchen noch Brillantring, I-Pod und Kreditkarte dazu, die Siebenmeilenstiefel messen sich mit einem Flugzeug und Schlemihls Fluchtwagen gleicht einer amerikanischen Luxus-Limousine. Wohl dosierte Farbspritzer sorgen für die Lebendigkeit der Bilder.

Peter Schlemihl ist im Heute angekommen. Mögen noch viele Leser dieses schönen Buches auf ihn aufmerksam werden, wenn er uns als ethnische Minderheit, als politisch oder religiös Verfolgter, als Gestrauchelter, Drogensüchtiger oder Obdachloser begegnet.

Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte | Deutsch
Kunstanstifter Verlag 2011 | 128 Seiten | Jetzt bestellen