Terry Pratchett: Eine Insel»Ein neues Buch von Terry Pratchett! Hurra!« Das beschreibt die übliche Reaktion eines Kenners der Werke Pratchetts (genauer: eines Fans) wohl am besten. Im Falle von »Nation« (dt. »Eine Insel«) wahrscheinlich gefolgt von einem kurzen Zögern und Stutzen: »Wie? Kein Scheibenwelt-Roman?«

Wer mit den Begriffen »Scheibenwelt« (engl. »Discworld«) und dem Namen Pratchett bislang wenig anfangen konnte, dem sei dringend ans Herz gelegt, das eine oder andere Buch nachzukaufen und mit Genuss zu lesen.

Pratchetts Scheibenwelt feierte unlängst den 25. Geburtstag ihrer Erstveröffentlichung (»The Colour of Magic«, 1983) und zum Jubiläum bietet uns Terry Pratchett ein Buch, das mit Sicherheit zu den besten Veröffentlichungen in den 48 Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit gehört – und Pratchett hat in den letzten 25 Jahren im Schnitt zwei Bücher pro Jahr veröffentlicht! Nur spielt die Handlung nicht auf der Scheibenwelt, sondern in einer alternativen Variante des 19. Jahrhunderts unserer Erde.

Den Witz, die intellektuelle Kraft, seinen ebenso federleichten wie tiefschürfenden Stil, alles, was seine Bücher so einzigartig macht, finden wir indes auch auf der »Insel« wieder. Nur keine Magie, keine Zwerge, keine andere Welt, die er sonst nutzt, um uns Erdenmenschen ebenso aberwitzig wie gekonnt den Spiegel vorzuhalten. Das ist aber auch gar nicht nötig, »Eine Insel« ist ein echter Pratchett, das ist nach schon wenigen Worten sonnenklar.

Um was geht es denn nun eigentlich? Mau, ein echter Eingeborener einer südpazifischen Insel (genannt: die Pelagischen Inseln, dieses Mal nicht im Mittelmeer) wird erwachsen. Nicht einfach so, er verbringt einen Monat auf einem kleinen Atoll und muss alleine wieder zur Heimatinsel, der »Nation« zurückkehren, um zum Mann zu werden. Just, als er sich auf die Heimreise macht, wird er und alles, was er kennt, zum Opfer einer Naturgewalt. Eine riesenhafte Welle zerstört seine Heimat und tötet alle, die er kennt. Alles, was er zu Hause findet, ist Tod und Zerstörung.

Währendessen grassiert im alten England eine Seuche, die das Königspaar hinrafft, und es besteht die Gefahr, dass England künftig von einem Franzosen regiert wird. Daphne ist eine der Thronerbinnen des Königreiches, die 139 der Linie wohlgemerkt, strandet aufgrund der Katastrophe auf eben jener Insel, auf der das Volk von Mau lebte. Außer ihr und dem fluchenden Schiffspapagei gibt es keine weiteren Überlebenden.

Ein kleiner Einschub: Entgegen dieser so dargestellt brutal anmutenden Anfangssequenz ist Pratchetts »Nation« ein Roman für alle Altersstufen, ein Jugendbuch zum Spass haben und lernen – man könnten daraus einer Gruppe gestandener Intellektueller etwas vorlesen, auch sie würden alle noch etwas daraus lernen können.

Das Aufeinandertreffen und Kennenlernen der beiden Protagonisten gestaltet sich zunächst natürlich komplex. Entwicklung und kulturelle Hintergründe, Meinungen über »Gott und die Welt« im wortwörtlichsten Sinn könnten kaum unterschiedlicher sein. Dazu kommt noch ein immenses Kommunikationsproblem. Mau und Daphne müssen daran arbeiten, ein gemeinsames Bezugs-, Sprach- und Glaubenssystem zu entwickeln.

Während ihrer Zeit auf der Insel gehen sie daran, die »Nation« wiederauferstehen zu lassen. Weitere Schiffbrüchige sammeln sich nach und nach mit ihnen auf der Insel. Konstellationen rund um gegenseitige Abhängigkeit und Verantwortung, Themen wie Führungsstil, -verständnis und -persönlichkeit werden besprochen und illustriert. Mau ist der Leader der Nation, seine Rolle bekommt er wie selbstverständlich, wobei er seine Kraft und Rolle nicht nur aus Situationen oder Herkunft, sondern auch aus seinen Schwächen gewinnt. Und alles das in diesem Stil, dieser unnachahmlichen Sprache eines Terry Pratchett, auf über 440 Seiten (deutsche Ausgabe). Herrlich!

Terry Pratchett: Eine Insel | Deutsch von Peder Brehnkmann
cbj 2009 | 448 Seiten | Jetzt bestellen