Le Clézio erzählt in diesem autobiographischen Buch eine Geschichte seiner Herkunft. Er setzt sich mit seinen Wurzeln, der Abstammung seiner Familie aus Mauritius auseinander, erzählt von seinen Eltern, und er erzählt die Geschichte seines Aufwachsens in Nigeria, wohin er in seinem achten Lebensjahr mit seiner Mutter und seinem Bruder reist. Er setzt sich in diesem Buch mit seinem Vater auseinander, einem ihm fremden Mann, den er im Alter von acht Jahren erstmals trifft und dem er niemals nahe kam. Gleichsam findet er durch seine Literatur die Mittel, sich ihm posthum zu nähern, es kommt zu einer Art spiritueller Berührung zwischen Vater und Sohn auf der literarischen Ebene.
Le Clézio erzählt auch von der Liebesgeschichte seiner Eltern, ebenfalls auf dem afrikanischen Kontinent, in Kamerun. Wie sie sich in einer eigenartigen Aufbruchstimmung im Afrika zwischen den beiden Weltkriegen liebten, Afrika hoch zu Ross erkundeten und glücklich waren. Er beschreibt die Stimmung dieser Zeit als die scheinbar greifbare Möglichkeit für ein von Krankheiten befreites und selbstbestimmtes Afrika. Natürlich war der Autor selbst zu dieser Zeit noch nicht geboren, er phantasiert sich durch die Erinnerungen und Hinterlassenschaften seines Vaters in seine Erzählung.
Dann allerdings beendet der Zweite Weltkrieg den afrikanischen Traum. Der Vater des Autors arbeitet als Kolonialarzt im Auftrag der Briten in einem nigerianischen Landkrankenhaus. Dort sitzt er während des Zweiten Weltkriegs, gefangen in den Routinen des Hospitals, seine Frau und seine Kinder sitzen im besetzen Frankreich fest.
1940 kommt Le Clézio in Nizza zur Welt, alle Versuche der Ausreise nach Afrika scheitern. 1948 endlich kann sich die Familie wiedervereinen, zu spät wie sich herausstellt.
Der Vater, der den Kolonialismus hasst, hat resigniert, hat sich selbst als ohnmächtigen Fronknecht der Kolonialmacht erkannt. Abgestumpft von der Gewalt, deren Auswirkungen er alltäglich als Arzt zu behandeln hat, ist der Zauber Afrikas für ihn erloschen. Für de Clézio selbst eröffnet sich zu dieser Zeit der Zauber des schwarzen Kontinents erst. Er spürt die Freiheit seiner Kindheit, geniest die Faszination, das Abenteuer Afrika, denn er wächst nicht in einem feudalen Kolonialistenhaushalt auf, sondern im Afrika seines Vaters. Ohne Annehmlichkeiten und europäischen Schnickschnack. Aber während der Autor seine lebenslange Liebe zu Afrika entdeckt, hat der Vater sich schon zu einem verbitterten und enttäuschten Sonderling gewandelt.
Doch der Vater hat, trotz seiner Ablehnung kolonialistischer Gepflogenheiten, fotografiert. Und so finden sich viele authentische Aufnahmen in diesem Buch, anhand derer sich de Clézio durch die Geschichte schreibt. Eine Geschichte, die unprätentiös und klar – ohne naive Verklärung oder Elendsrethorik – nicht nur eine Liebeserklärung an, eine Verbeugung vor einem faszinierenden Kontinent ist, sondern auch ein intelligentes Nachdenken über das alte und das neue Afrika.
Jean-Marie Gustave Le Clézio: Der Afrikaner | Deutsch von Uli Wittmann
Hanser 2007 | 133 Seiten | Jetzt bestellen