Ingrid Noll: Röslein rot»Herrgott noch mal, kapierst du denn nicht, dass bei Imke eine Schraube locker ist! Du lässt dich als Prinz anhimmeln und bist in Wahrheit eine aufgeblähte Kröte, ein eingebildeter Hohlkopf …« (…) »… du bist ein stinknormaler Familienvater, durchschnittlicher geht’s gar nicht.« (Annerose zu Reinhard)

Annerose, von Freunden und Verwandten auch Röslein genannt, führt eine ganz normale Ehe mit Reinhard. Sie kümmert sich um den Haushalt, den Garten, die Kinder und um den Bürokram von Reinhard, der sich als Architekt selbstständig gemacht hat. Die Inspirationen für ihr tägliches Leben holt sich Annerose beim Betrachten von Bildern aus dem Barock – Stillleben mit bunten Blumengewinden, Obst und Gemüse, rätselhafte Gruppierungen von Gegenständen, aus denen sie dann eine symbolische Deutung für sich selbst herauslesen zu meint.

Gerne würde sie auch so phantasievoll kochen, wie auf den Bildern abgebildet. Jedenfalls nimmt sie es sich vor, aber letztendlich serviert sie ihrer Familie dann doch nur wieder Pizza oder Nudeln. Und überhaupt: Der ganze Haushaltskram ist eigentlich gar nichts für sie. Am liebsten würde sie sich den ganzen Tag nur ihrem Hobby, der Malerei, insbesondere der Hinterglasmalerei, widmen.

In ihre eingefahrenen Ehe hat sich mit der Zeit der graue Alltag eingeschlichen, ohne Höhen und Tiefen plätschert sie so vor sich hin. Bis eines Tages eine rote Rose hinterm Scheibenwischer von Reinhards Auto klemmt. Später findet sie auch noch schwülstige Liebesbeteuerungen im Briefkasten, geschrieben von einem jungen Mädchen.

Mein kleiner Prinz! Wie verlassen bist Du in der unendlichen Wüste des Universums; aber in der Oase meines Herzens erblüht ein Rosenstrauch für Dich, und jede Knospe enthält eine Perle von mir … (Imke an Reinhard)

Zuerst empfindet sie es eher amüsant, aber als sie merkt, dass Reinhard sich durchaus geschmeichelt fühlt und dann auch noch ehemalige Schulfreundinnen auftauchen, die ebenfalls ihr Interesse an ihrem Mann vorgeben, wird sie stutzig. Sollte ihr da etwas entgangen sein, oder was ist an ihrem sonst für sie so langweiligen und unscheinbaren Mann dran, das ihn auf einmal wieder begehrenswert macht? Hat sie ihn vielleicht mit Zuwendung und Liebe vernachlässigt? Holt er sich das jetzt von anderen Frauen?

Obwohl Reinhard schwört, sie nicht zu betrügen, beginnt die Eifersucht an ihr zu nagen, verdirbt ihr die Nachtruhe mit verrückten Albträumen und Verlustängsten. Es ist wie der Umgang von Kindern mit alten, zerschlissenem Spielzeug: Niemand schenkt dem Spielzeug mehr Beachtung, wenn es jedoch ein anderer nochmals zum Spielen hervorkramt, wird es wieder interessant und man meldet erbost seinen Besitzanspruch an.

Durch die tägliche Auseinandersetzungen leben sich beide in ihrer von ständigen Verdächtigungen und Vorwürfen angeknackste Ehe noch mehr auseinander. Zuspruch von ihren Freundinnen, denen sie ihr Herz ausschüttet, bekommt sie immer seltener. Eher scheint es ihr so, als wenn diese auch plötzlich ein Auge auf Reinhard geworfen hätten und einem Flirt oder einer Bettgeschichte nicht abgeneigt seien.

Von Selbstvorwürfen zermürbt, vernachlässigt sie Haus und Familie. Sie beschließt Abstand von allem zu suchen und fährt mit ihren Kindern drei Wochen in den Urlaub nach Italien. Bei ihrer Rückkehr wird sie vollkommen unerwartet mit einem Todesfall im Freundeskreis konfrontiert, der sich für sie nicht in das bisherige Geschehen einordnen lässt – aber nur auf den ersten Blick, denn alle Hinweise deuten auf einen gut geplanten, hinterhältigem Mord hin.

Mein Resümee: »Röslein rot« ist das dritte Buch von Ingrid Noll, das ich wieder mit Vergnügen gelesen habe, auch wenn hier meiner Meinung nach der boshafte schwarze Humor, den ich aus vorangegangen Büchern kenne, ein wenig zu kurz kommt. Ich denke, es ist eine leichte Leselektüre, die wohl am ehesten bei Frauen ankommt. Die Stillleben sind dem Buch als Faltblatt beigefügt und im Zusammenhang mit der Geschichte fand ich die Schilderung der einzelnen Gemälde informativ und durchaus passend zum Text.

Ingrid Noll: Röslein rot | Deutsch
Diogenes 2000 | 272 Seiten | Jetzt bestellen