Kafka Tamura ist der Protagonist, dessen wirklicher Name uns aber verborgen bleibt – ein Junge, der sich an seinem 15. Geburtstag dazu entschließt, sein Zuhause zu verlassen und sich einfach auf den Weg zu machen, auf seine persönliche Odyssee.
Die Parallelität des Romans zur griechischen Tragödie liegt nahe, gibt ihm doch sein eigener Vater einen Fluch mit auf den Weg: Der Junge werde eines Tages seinen eigenen Vater töten und mit seiner verschollenen Mutter schlafen. Tatsächlich kommt der Vater zu Tode, Kafka hat damit aber nichts zu tun. Und er begegnet auf seiner Reise Frauen, die möglicherweise seine Mutter und Schwester sein könnten. Der ödipale Fluch wird allerdings in einer Szene kindlicher Vereinigung in Unschuld aufgelöst.
Der zweite Protagonist des Romas ist ein heiliger Narr namens Nakata. Er ist Analphabet, sein Leben änderte sich drastisch in einer mysteriösen Szene während des Zweiten Weltkriegs. Dieser Mensch vermag es, die Sprache der Katzen zu sprechen und nach Bedarf kleine Fische oder Blutegel regnen zu lassen. Er folgt einer Art innerem Auftrag und wandelt, ohne es zu wissen, auf den Spuren Kafka Tamuras. Die Geschichten dieser beiden Outlaws bewegen sich aufeinander zu. Der einsame, wortkarge und Liebe suchende Tamura und der »Idiot Savant« des Romans steuern eine mystische Bibliothek an.
An dieser Stelle endet dieser Bericht über den Inhalt des Buches. Genauso wie Murakami ein Schriftsteller mit einer Neigung zum offenen Ende ist, ist diese Rezension offen, was den Fortgang der Geschichte angeht. Dem interessierten Leser sei gesagt: Es geschieht noch so einiges.
Haruki Murakami erzählt seine Geschichte voller surrealer Bilder auf über 600 Seiten, vielfach erscheint es nicht möglich, Traum und Realität zu unterscheiden. Er erzählt auf eine so gar nicht aufgeladene Art und Weise, dass man ihm bereitwillig jede Absurdität glauben möchte. Murakami ist ein besonderer Poet, er komponiert Betrachtungen des Alltäglichen auf eine Art und Weise, die den Betrachter fesselt und ihm die Schönheit des Banalen vorführt. Man findet einiges in seinem Roman, was an Kafka erinnert, mehr als nur den Vornamen des Protagonisten.
Murakami schreibt, als wüsste er genauso wenig wie der Leser, was auf der nächsten Seite kommt. Den Bedeutungsgehalt seiner Werke liefert er selber nicht, Realismus ist ihm gleich. Und auch wenn sich sicherlich viel Papier beschreiben lässt, auf dem sein Buch analysiert wird, der Bezug zu Kafka und auch anderen Denkern der westlichen Welt interpretiert wird – dem Leser sei ans Herz gelegt: Deuten soll man dieses Buch besser nicht. Das zerstört den Genuss.
Haruki Murakami: Kafka am Strand | Deutsch von Ursula Gräfe
btb 2006 | 640 Seiten | Jetzt bestellen