Elke Heidenreich/Michael Sowa: Nurejews Hund»Oblomov, mein Lieber – tanz einmal. Nur für ihn.«
(Die alternde Ballerina zum Hund.)

Kak Sawusch? (Wie heißt du?), flüstert jemand einem Hund in einem sinnlichen, weichen, typisch russischen Tonfall ins Ohr. Dieser Jemand ist kein anderer, als der weltberühmte und elegante Tänzer Nurejew.

Es ist ein unbeschreiblich hässlicher Hund, dick und träge, und keiner hat eine Ahnung, wo er herkommt oder wem er gehört. Er liegt einfach so herum, mitten in einer wilden Party, die beim Schriftsteller Truman Capote stattfindet. Und es will ihn auch niemand unbedingt haben, weil er so hässlich ausschaut, mit seinem schmutzfarbenen Fell. Bis auf Nurejew, der sich auf der Stelle in dieses plumpe Wesen verliebt. Und weil er eben so ein träger, fauler, aber auch gutmütiger Hund ist, nennt er ihn Oblomow.

An dieser Stelle ist es vielleicht aufschlussreich zu wissen, woher der Name Oblomow kommt. Oblomow ist die Titelfigur aus dem gleichnamigen Roman des russischen Schriftstellers Iwan Alexandrowitsch Gontscharow; ein russischer Landadliger, faul und träge, der am liebsten den ganzen Tag im Bett liegend verbringen möchte; ein ebenso liebenswürdiger wie sanftmütiger Zeitgenosse, ein Träumer mit tausend Plänen im Kopf, die er jedoch vor lauter Trägheit nie umsetzt. (Der Begriff Oblomowismus wird später sogar – laut Meyers Konversationslexikon – eine Bezeichnung für träumerische Unentschlossenheit.)

Doch zurück zum Hund und dem begnadeten Tänzer, ein Paar, das ungleicher nicht sein kann. Beide verbringen fortan ihr Leben gemeinsam. Wenn Nurejew im Ballettsaal fleißig trainiert, liegt Oblomow faul auf einem Brokatkissen und beobachtet aus schläfrigen Augen, wie sein Herrchen neue Tanzschritte einstudiert. Und er spürt den durch die tanzenden Füße bebenden Boden, lauscht den Tönen des begleitenden Klaviers und schnieft glücklich und zufrieden in sich hinein.

Aber Nurejew leidet an einer schweren, tödlichen Krankheit. Bis zu seinem Tod wird der Hund nicht von seiner Seite weichen. Als schließlich das Unausweichliche eintritt, trauert das Tier um seinen Menschen. Zum Glück bedenkt Nurejew in weiser Voraussicht, dass sich nach seinem Ableben ein anderer um seinen geliebten Hund kümmern muss.

In einem Testament hinterlässt er ein kleines Vermögen und verfügt, dass eine liebe Bekannte, eine alternde Ballerina und Bewunderin Nurejews, sich des Hundes annimmt. Und weil diese Bekannte schon zu Lebzeiten des Tänzers liebevoll für beide gesorgt hat, übernimmt sie später bedenkenlos die weitere Fürsorge für Nurejews Liebling. So kann er weiterhin auf einem Kissen liegend die Tänzer beim Training beobachten, den Rhythmus in sich erbeben lassen und zufrieden schniefend einschlafen.

In der Nacht schläft der Hund für gewöhnlich im Bett der Piroshkowa, so der Name der Ballerina. Aber eines Nachts wird sie, die sowieso einen leichten Schlaf hat, von einem ungewöhnlichen Geräusch geweckt. Sie bekommt mit, wie Oblomow leise mit seinen dicken Pfoten übers Parkett zum Balkon hinaus schleicht. Was sie dort sieht, lässt sie zuerst an ihren Verstand zweifeln, danach erstaunen.

»Nurejews Hund« ist eine kleine anrührende Geschichte von der herzlichen Zuneigung zwischen Mensch und Tier, aufgeschrieben von Elke Heidenreich und liebevoll illustriert von Michael Sowa. Mal lacht man erheitert auf, mal wischt man sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Ein Schmankerl für Zwischendurch, oder ein schönes Geschenk für einen lieben Menschen – und für das große Kind in uns, das man sich bewahren möchte.

E. Heidenreich, M. Sowa: Nurejews Hund. Oder Was Sehnsucht vermag | Deutsch
Sanssouci 2005 | 48 Seiten | Jetzt bestellen