Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W.The end is the beginning is the end.
(Smashing Pumpkins)

Mit der Todesnachricht in der »Berliner Zeitung« beginnt die Studie über das kurze Leben des Edgar Wibeau. Am Heiligen Abend (1973?) lässt er diese Welt hinter sich, nicht ohne zuvor gehörig für Unruhe gesorgt zu haben. Der ehemalige Vorzeigeschüler der Berufsschule verletzt seinen Ausbilder und schmeißt nicht nur seine Ausbildung, sondern später auch noch sein ganzes Leben hin. Er rebelliert gegenden den stupiden Konformismus des kommunistischen Kollektivs und mutiert zum Outlaw.

Bezeichnenderweise bezieht er im Laufe der Geschichte eine Laube, die seine Position außerhalb der Gesellschaft noch zusätzlich unterstreicht. Dort fällt ihm eine Ausgabe des »jungen Werther« in die Hände, und er beginnt sich darin zu vertiefen, zunächst gelangweilt, aber später lässt ihn das Werk nicht mehr los.

Schließlich beginnt er selbst, zeitweilig in »Werther«-Versen zu reden, er verfasst kleine Gedichte, Textsequenzen und verliebt sich schließlich rettungslos in eine Kindergärtnerin, deren Areal nahe an seine Laube grenzt. Er nennt sie »Charlotte«, frei nach der literarischen Vorlage.

Sie findet ihn interessant, aber es entwickelt sich keine wirkliche Romanze zwischen den beiden, was zum einen an seiner merkwürdigen Art und seinem außergesellschaftlichen Status liegt und zum anderen daran, dass »Lotte« bereits vergeben ist – an einen Spießer, das absolute Feindbild des unangepassten Edgar. Dieser schließt sich dann reichlich lustlos einer Malerkolonne an, in der es – wie könnte es auch anders sein – ebenfalls zu Spannungen kommt. Beim abenteuerlichen Versuch, eine selbst gefertigte hydraulische Spritzpistole funktionsfähig zu machen, stirbt Edgar Wibeau.

Technisch interessant ist, dass die Erzählperspektive innerhalb der Geschichte ständig wechselt . Mal kommen ehemalige Weggefährten oder die Eltern von Edgar zu Wort, mal kommentiert er selbst (quasi aus dem Jenseits) das Geschehen.

Ulrich Plenzdorf zeichnet eine Momentaufnahme der ehemaligen DDR, einen grauen Alltagsrealismus, in dem kein Platz ist für Träumer, Phantasten und Unangepasste. Das, was nicht dem Kollektiv nützt, schadet ihm nur – und dann schlussendlich auch sich selbst.

Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W. | Deutsch
Suhrkamp Taschenbuch Neuauflage 2008 | 148 Seiten | Jetzt bestellen