Tobias O. Meißner: Hiobs Spiel 3 – VerliererAber dennoch verspürte Hiob, blind, gefesselt und wehrlos wie er war, nicht die geringste Angst vor diesen Männern. Die Söhne des Aum kamen ihm vor wie ein schmächtiger Räuber, der fahrig mit einem Messer vor seiner Nase rumwedelte. Hiob, der in Kolumbien Monster getötet hatte, der den elektrischen Stuhl überlebt, der einen Samurai und Knecht Ruprecht bezwungen, ein Blutbad in einem zeitbereisten Bauernhof bezeugt und das leibhaftige Antlitz Gottes geprügelt hatte, konnte von einem Messerstecher nicht mehr beeindruckt werden.

»Hiobs Spiel« beschreibt den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse in Form eines Wettstreits zwischen dem erfolglosen Künstler Hiob Montag und dem Teufel höchstpersönlich. Der Spieleinsatz ist dabei kein geringerer als die gesamte Welt. Hiob muss Manifestationen des Bösen auf Erden besiegen und erhält dafür Punkte. Scheitert er, fallen die Punkte an den Teufel. 78 Punkte gilt es zu erreichen, um das Spiel zu gewinnen. Den bisherigen Rekord hält ein chinesisches Bauernmädchen aus dem 17. Jahrhundert. Sie erreichte 17 Punkte vor ihrem Tod. Sobald der Teufel mehr Punkte hat, wird die Welt untergehen.

Zu Beginn der Handlung läuft es nicht gut für Hiob Montag, obwohl er immer noch den zweithöchsten Punktestand aller Zeiten hat. Doch Misserfolg reiht sich an Misserfolg und sein Punktevorsprung schwindet immer mehr.

Als der erste Band »Frauenmörder« im Jahr 2002 erschien, wurde Hiobs Spiel als Mammutprojekt angekündigt. Ein auf fünfzig Jahre angelegter Romanzyklus, ohne Genregrenzen und mit einer unbekannten Anzahl von Bänden. »Frauenmörder« war wild und roh, härter als American Psycho, ein heftiger Schlag in die Magengrube, nicht nur von zartbesaiteten Menschen. Lesen wurde hier zur Grenzerfahrung. Doch trotz der unglaublichen Brutalität ist der erste Band von Hiobs Spiel wesentlich mehr als die üblichen Folter-Pornos, die momentan in Buch- und Filmform den Markt fluten.

Im zweiten Band »Spieler« (2006) ließ die Düsternis etwas nach. Das Buch war weniger brutal und verstörend, sondern verspielter, leichter im Ton, comichafter, aber ohne von seiner Wucht zu verlieren.

Nachdem die ersten beiden Bücher im Eichborn Verlag erschienen waren, musste eine eingeschworene Fangemeinde lange auf eine Fortsetzung im neuen Verlag warten. Im dritten Band »Verlierer« bekommt es Hiob Montag nun unter anderem mit einem höllischen Kopfgeldjäger namens Souldiver Bloodfork, Frankensteins Monster aus den Marvel-Comics und unsichtbaren Insektenmonstern in der U-Bahn zu tun.

Man wird nur schwer etwas Abgedrehteres zwischen zwei Buchdeckeln finden. Trotzdem stellt sich die Begeisterung erst langsam ein. Zu viel Gerede und zu viele Erklärungen war mein erster Eindruck. Wo die beiden ersten Bände verwirrend und rätselhaft blieben, wird hier der größere Zusammenhang beleuchtet. Das ist sicher an dieser Stelle der Geschichte richtig und notwendig, aber nach der langen Durststrecke hätte ich mir eine vorwärtstreibende Handlung gewünscht.

Immerhin, nach einem etwas zähen ersten Drittel kommt das Buch in Schwung und hat viele sehr kraftvolle Passagen, die Lust auf mehr machen. Bleibt zu hoffen, dass der vierte Band nicht wieder sechs Jahre auf sich warten lässt.

Tobias O. Meißner gehört zu den interessantesten deutschsprachigen Autoren, nicht nur im Bereich Phantastik. In den letzten Jahren wurden seine Bücher sehr fantasylastig. Viele seiner reinen Fantasyromane waren weniger nach meinem Geschmack, da ich diesem Genre insgesamt nicht viel abgewinnen kann. Trotzdem sind Bücher wie »Paradies der Schwerter« oder »Die Soldaten« einfach grandios und jedem zu empfehlen, der anspruchsvolle und gut geschriebene Abenteuergeschichten zu schätzen weiß.

»Hiobs Spiel« dagegen entzieht sich jeder Kategorisierung und zählt zu den faszinierendsten Leseerlebnissen meines Lebens. Deshalb freut es mich umso mehr, dass der Golkonda-Verlag Anfang 2013 auch die ersten beiden Bände von »Hiobs Spiel« noch einmal herausbringt. Neueinsteiger können das bisherige Werk nun an einem Stück genießen. Wie ich diejenigen beneide …

Tobias O. Meißner: Hiobs Spiel 3 – Verlierer | Deutsch
Golkonda Verlag 2012 | 391 Seiten | Jetzt bestellen