Thomas Carl Sweterlitsch: Tomorrow & TomorrowDie Welt ist klar konstruiert. Ordentliche Apps in kugelförmiger Darstellung. Die Augs sind gut zugänglich, trotzdem unaufdringlich: Datum, Uhrzeit, Wetter, GPS-Positionsbestimmung, soziale Netzwerke. Agathas Profil füllt mein Gesichtsfeld. Schon speichert die Netzhautkamera Bilder von ihr, fügt sie in mein Adressverzeichnis ein, hält Ort und Zeit unserer Begegnung fest, kopiert Bildmaterial aus ihrem Profil, das mir beim blitzschnellen Überfliegen aufgefallen ist.

Die Stadt Pittsburgh mit all ihren Bewohnern wurde vor zehn Jahren durch einen Terroranschlag ausgelöscht. Unter den Opfern war auch die schwangere Ehefrau von John Dominic Blaxton, der sich zum Zeitpunkt des Anschlages außerhalb der Stadt aufhielt.

Im Rahmen seiner Arbeit als Internetdetektiv hat er sich oft im Stadtarchiv aufgehalten, wo die Überwachungsdaten aller früheren Bewohner gespeichert sind, einschließlich aller Kameraaufnahmen. Das Archiv ist inzwischen eine digitale Kopie von Pittsburgh geworden. Blaxton hat seine Trauer nie überwunden und sich den Drogen ergeben. Er verbringt viel Zeit im Archiv, wo er frühere Treffen mit seiner Frau wieder und wieder erlebt.

Er wird von einem Medien-Mogul namens Waverly engagiert. Dessen Tochter Albion kam ebenfalls bei dem Anschlag um, und nun hat ein Hacker begonnen, ihre Daten aus dem Archiv zu löschen. Die letzten Erinnerungen, die der Vater an seine Tochter hat. Blaxton soll die Löschung stoppen, den Grund dafür herausfinden und die Daten zurückbringen. Schon bald erhält er die erste Drohung, damit er den Fall niederlegt. Ansonsten würde man auch seine Frau aus dem Archiv löschen.

Die Tatsache, dass es einem Programm gelingt, aus der Fülle an Überwachungsaufnahmen den gesamten Tagesablauf eines Menschen digital nachzustellen, ist beängstigend. Ebenso die Vorstellung einer implantierten Hardware, die ständigen Internetzugang gewährleistet und einem alle Informationen direkt auf die Netzhaut projiziert. Dieses Unbehagen macht einen großen Reiz des Buches aus.

Außerdem ist dem Autor die düstere Science-Fiction-Noir-Atmosphäre à la »Blade Runner« sehr schön gelungen. Das gilt auch für die zahlreichen Überspitzungen aktueller gesellschaftlicher Auswüchse. Das Psychogramm des gebrochenen Helden gelang dagegen weniger. Das hat man zu oft und besser gelesen, weshalb es im Buch einige Durststrecken gibt, die nur von der spannenden Grundidee getragen werden.

Der Autor fühlt sich in seiner geschaffenen Welt sehr wohl und verbleibt deshalb länger in ihr, als es der Geschichte guttut. Etwas mehr Tempo hätte sicher nicht geschadet. »Tomorrow & Tomorrow« ist solide und souveräne Unterhaltung mit einigen sehr guten Ideen. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Thomas Carl Sweterlitsch: Tomorrow & Tomorrow | Deutsch von Friedrich Mader
Heyne 2015 | 480 Seiten | Jetzt bestellen