Sven Regener: Der kleine BruderKein besonders ausgefeilter Plan, dachte er gerade, als Wolli aufhörte zu reden und sie gemeinsam schweigend in das sehr dunkle Dunkel der Transitstrecke durch die DDR starrten, hat ein paar Schönheitsfehler, der Plan, dachte er, aber dann fiel ihm auf, dass Wolli nicht mehr redete, und die Stille hatte, zusammen mit der sie umgebenden Finsternis, eine beruhigende, einlullende Wirkung, der er sich gerne hingab. Scheiß drauf, ob der Plan Schönheitsfehler hat, dachte er, Hauptsache, es ist mal Ruhe im Schiff, und dann sah er nur noch der Straße dabei zu, wie sie sich in das funzlige Licht seiner Scheinwerfer schob wie ein alter, harter Teppich.

Frank Lehmann, nach einem scheinbaren Selbstmordversuch aus der Bundeswehr entlassen, reist nach Berlin-West zu seinem Bruder. Der ist leider nicht zu Hause. Seine Mitbewohner kennen seinen Aufenthaltsort nicht. Der Hauptmieter der Wohnung möchte seine schwangere Freundin einziehen lassen, und so zieht Frank an Stelle seines Bruders mit dessen Habe und dessen Freund Karl in eine neue Wohnung über ihrer Stammkneipe.

Nach »Herr Lehmann« und »Neue Vahr Süd« ist nun mit »Der kleine Bruder« der Mittelteil der Trilogie erschienen. Das Buch beschreibt zwei Tage und zwei Nächte in Franks Leben. Für ihn rückt die Suche nach seinem Bruder Mannie immer weiter in den Hintergrund. Er richtet sich in der Kreuzberger Szene ein, lernt die Bekannten seines Bruders kennen, mit so prägnanten Namen wie P. Immel, trinkt eine Menge Bier und redet und redet und redet. Erst durch die Anrufe seiner Mutter fühlt er sich gedrängt, die Suche nach Mannie wieder aufzunehmen, und kommt der Lösung durch Zufall auf die Spur.

Bei manchen Büchern wünscht man sich, sie würden ewig weitergehen, weil man die Figuren mag, die Handlung ohne Längen zügig voranschreitet und man ständig glänzend unterhalten wird. »Der kleine Bruder« ist so ein Buch. Zu schnurrig ist die Geschichte des Frank Lehmann. Da das Buch hauptsächlich aus Dialogen besteht, empfiehlt sich das Hörbuch, um diesen besonderen Sound zu fühlen.

Die Verfilmung von »Herr Lehmann« hat die Vorstellung von den Hauptfiguren nachhaltig geprägt. Beim Hören hat man Christian Ulmen als Frank und Detlev Buck als Karl ständig vor Augen. Und Autor Sven Regener liest so unglaublich schnell, dass jeder andere Autor für das ungekürzte Hörbuch zwei CDs mehr gebraucht hätte. Bei jeder Sprechpause sinkt man erschöpft zurück, aber sofort geht es weiter, und nach kurzer Zeit hat diese hektische Erzählweise einen Sog entwickelt, dem man sich nicht mehr entziehen kann. Selten habe ich ein Hörbuch so rasch zu Ende gehört.

Sven Regener: Der kleine Bruder | Hörbuch | Gesprochen von Sven Regener
Roof Music 2008 | 5 CDs | Jetzt bestellen