hesse»Du liest jetzt Hermann Hesse, sonst gibt’s was auf die Fresse!«, kalauerte Otto Waalkes in den 70ern. In der Tat muss man als Leser manchmal zu seinem Glück gezwungen werden. Vor zehn Jahren etwa hatte ich Hesses ersten Roman Peter Camenzind auf dem Grabbeltisch der Städtischen Bücherei entdeckt und das Werk daraufhin für knapp zwei D-Mark (den Euro gab’s noch nicht) erstanden. Das Buch wurde nur umgelagert. Ich stellte es in mein Bücherregal. Dort blieb es. Ungelesen.

Bis gestern, als im Forum von www.tcboyle.de jemand feststellte, dass Schüler oft nicht die Bedeutung von literarischen Werken erfassen bzw. nicht erfassen wollen, weil sie quasi gezwungen werden, sich mit bestimmten Büchern auseinanderzusetzen. Ein Buch lesen zu müssen, verdirbt bekanntlich jeden Spaß.

Mir selbst machte als Schüler vor allem Aldous Huxley zu schaffen. Ich fand seine Schöne Neue Welt ausgesprochen langweilig. Wie dumm! Und wie gut, dass sich diese Sichtweise inzwischen gravierend geändert hat. Ab und zu macht man also doch Fortschritte in der geistigen Entwicklung.

Doch zurück zu Hesse: Im Boyle-Forum berichtete schließlich jemand, dass sich einer seiner Lehrer einst geweigert hatte, sein Lieblingsbuch »Peter Camenzind« mit den lerngeplagten Schülern zu besprechen, weil er sich sein schönes Bild von Hesses Erzählung nicht zerstören lassen wollte. Das Lesen dieser Anekdote war für mich ein guter Grund, die inzwischen ordentlich eingestaubte Geschichte des schweizerischen Bauernsohnes, der sich zum Dichter berufen fühlt, endlich aus dem Regal zu ziehen und … ja, zu lesen.

Nach der Lektüre des Buches kann ich die Sorge des Lehrers gut verstehen. »Peter Camenzind« ist tatsächlich eine Geschichte, die man in sein Herz schließen kann. Das sage ich heute. Als Schüler wären mir die Naturbeschreibungen, die späten Heimatgefühle und letzten Erkenntnisse des Peter Camenzind ein Greuel gewesen. Ich hätte sowohl den Lehrer als auch Hesse verflucht.

… die Geschichte meiner Jugend. Es scheint mir, wenn ich es überdenke, als sei sie kurz wie eine Sommernacht gewesen. Ein wenig Musik, ein wenig Geist, ein wenig Liebe, ein wenig Eitelkeit – aber es war schön, reich und farbig wie ein eleusisches Fest.

Als Sechzehnjähriger hätte ich mit Zeilen wie diesen nichts anfangen können. Heute als 40jähriger möchte ich Hesse dafür anerkennend auf die Schulter klopfen und laut in den Dichterhimmel rufen: »Schön, dass Du das eigens für mich zu Papier gebracht hast.«