Rob Alef: Das magische JahrDas eingedrückte Gesicht, die Nase ragte schief ins Irgendwo. Getrocknetes Blut am Haaransatz, an Lippen, Kinn und Hals. Die Schläge. Man konnte die Treffer abzählen wie Jahresringe in einem Baumstumpf. Keine Spur von Toben oder Rasen. Dieses geschundene Gesicht hatte die unmenschliche Folgerichtigkeit eines professionell gefliesten Badezimmers.

An einem Sommerabend, es ist der 2. Juni, wird in Berlin ein Antiquitätenhändler mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden. Promi Praumann ist der Name des Ermordeten. Er war einst ein enger Weggefährte von Richard Dubinski, dem legendären Wortführer der Studentenbewegung der 60er Jahre. Studentenbewegung? 2. Juni? Dubinski? Praumann? Müsste hier nicht eigentlich von Rudi Dutschke und Bommi Baumann die Rede sein?

Eigentlich schon. Doch Rob Alef hat die Geschichte der deutschen Studentenbewegung für seinen Roman »Das magische Jahr« neu erfunden, und zwar nicht nur die Namen der Beteiligten, die historischen Daten und das, was sich Mitte/Ende der 60er Jahre (vornehmlich in Berlin) abgespielt hat, sondern auch den Ausgang dieses nicht unbedeutenden Abschnitts in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Alef zeichnet eine Gegenwart, in der Richard Dubinski als großer Revolutionsheld museal veehrt wird und 30 Jahre alte Gegenstände, wie der Fön von Rainer Langhans, das Mundspray von Klaus Rainer Röhl oder der allererste Spülschwamm der Kommune 1, als kostbare Sammlerstücke gehandelt werden.

Auch wenn diese Beschreibung etwas anderes vermuten lässt: »Das magische Jahr« ist in erster Linie ein Kriminalroman. Der Antiquitätenhändler Praumann bleibt darin nicht das einzige Opfer. Es geschehen noch weitere Morde, und Hauptkommissar Pachulke sowie seine Kollegin Zabriskie versuchen auf rund 300 Seiten, dem Mörder und seinen Mordmotiven auf die Spur zu kommen. Dabei stellt sich heraus, dass sich die historischen Ereignisse nicht so zugetragen haben, wie sie in der fiktionalen Gegenwart wahrgenommen werden. Oder anders gesagt: Alef stellt die Geschichte ein zweites Mal auf den Kopf.

Wie ihm dies gelingt, ist schon bemerkenswert. Vielleicht will der Autor uns damit warnen: vor zuviel Legendenbildung, und dass wir nicht dazu neigen sollten, bestimmte Dinge zu verklären, sobald genügend Gras darüber gewachsen ist. Vielleicht interpretiert man damit aber auch zuviel in das Buch hinein.

Ein Krimi hat vor allem spannend zu sein, und spannend ist »Das magische Jahr« – bis zur letzten Seite. Darüber hinaus zeichnet sich das Buch durch viele originelle Ideen aus. Man liest den Namen eines Kindes, Quetzalcoatl Schmidt (der Vater arbeitet als Archäologe in Mexiko), und denkt an eine von TC Boyles Kurzgeschichten. Danach tauchen wegweisende »Informationsangestellte« auf, und man fragt sich, ob der Autor sich diese ausgedacht hat, oder ob es sich dabei um ein Job-Modell handelt, das tatsächlich schon in Berlin zu finden ist.

An manchen Stellen übertreibt Alef es mit seinem Einfallsreichtum. Die »Pinguine«, die im letzten Drittel des Buches im wahrsten Sinne des Wortes zu Wort kommen, können vom Leser auch als Bruch empfunden werden, weniger als Bereicherung. Dem Lesevergnügen insgesamt schadet dies aber nicht. Zu glänzend funktioniert dafür das Spiel mit Fiktion und Geschichte, ein Spiel, in dem am Ende sogar die Beatles ihre Auftritte haben. Ihre Konzerte in Liverpool (The Cavern, 1962) und Hamburg (Bravo Beatles Blitztournee, 1966) hat der Autor geschickt – und ausnahmsweise ziemlich authentisch – in sein historisches Puzzle eingefügt.

Rob Alef: Das magische Jahr | Deutsch
Rotbuch 2008 | 320 Seiten | Jetzt bestellen