Paul Murray: Skippy stirbtRuprecht Van Doren, der Besitzer des Fernrohres und Skippys Zimmergenosse, ist nicht wie die anderen Jungs. Er ist im Januar nach Seabrock gekommen, wie ein verspätetes und nicht mehr umtauschbares Weihnachtsgeschenk, nachdem seine Eltern bei einer Kajakexpedition den Amazonas hinauf ums Leben gekommen waren.

Vor ihrem Tod war er zu Hause von Privatlehrern unterrichtet worden, die auf Geheiß seines Vater, Baron Maximilian Van Doren, aus Oxford eingeflogen wurden, und daher hatte er eine ganz andere Einstellung zu Bildung und Ausbildung als seine Kameraden. Für Ruprecht ist die Welt ein Kompendium faszinierender Fakten, die nur darauf warten, entdeckt zu werden, und jedes kniffelige mathematische Problem wie das Eintauchen in ein schönes warmes Wannenbad.

Ruprecht und Skippy leben in einem von Priestern geführten Internat namens Seabrock College, wo sie unter anderem lähmend langen Vorträgen über die Abgründe der modernen Welt lauschen müssen. Aber es gibt auch weltlichen Lehrkörper, wie den unglücklichen Geschichtslehrer Howard, der von einer neuen Kollegin aus seiner Lethargie gerissen wird. Außerdem wäre da noch der angehende Dealer Carl, der mit den Medikamenten seiner Mitschüler einen florierenden Handel betreibt. Dann verliebt sich Skippy in ein Mädchen und hofft, ihm auf der bevorstehenden Halloween-Party zu begegnen. Diese nimmt einen unvorhergesehenen Verlauf, nachdem die Bowle mit psychedelischen Drogen angereichert wurde. Als Skippys Angebetete sich als Freundin von Dealer Carl entpuppt, gibt es weiteren Ärger.

Viele große Themen werden in diesem Buch angepackt: Jungenfreundschaften, Naturwissenschaften, Drogenkonsum, Tod, Entfremdung, Jugendkriminalität, erste Liebe, neue Liebe, Internatsleben, Konkurrenzkampf, sexueller Missbrauch, Männerrituale, Rebellion sowie die Scheinheiligkeit der katholischen Kirche und ihrer Vertreter. Zu viele Themen vielleicht, um ihnen allen gerecht zu werden, aber Murray schafft es durch seine Komposition und seinen Sprachstil, ihnen noch neue Seiten abzugewinnen.

Die witzigen Dialoge der Jungs in pubertären Nöten sind einfach köstlich, das Liebesleiden von Lehrer Howard ist bewegend geschildert und das Verhalten der Schulleitung und der Patres lässt einem beim Lesen das Blut kochen. Geradezu tragisch ist die Sprachlosigkeit in den Telefonaten zwischen Skippy und seinem Vater. Der Sohn, der mehr oder weniger darum bettelt, in den Ferien nach Hause kommen zu dürfen, und der Vater, der nur mit Vertröstungen und Beschwichtigungen reagiert. Genauso bewegend ist der Moment, als Skippy die wahre Natur seiner ersten großen Liebe erfährt. Das Buch treibt den Leser wie einen fliehenden Hasen zwischen Komödie und Drama hin und her.

Nach seinem sehr erfolgreichen Debüt »An evening of long goodbyes« hat Paul Murray ein weiteres, sehr lesenswertes Werk vorgelegt. Fast ohne Längen, was bei der hohen Seitenzahl besonders beeindruckend ist. Wer englisches Internatsleben wieder einmal ohne Magie lesen möchte und Stephen Frys »Der Lügner« schon kennt, sollte hier zugreifen.

Paul Murray: Skippy stirbt | Deutsch von Rudolf Hermstein und Martina Tichy
Goldmann 2012 | 784 Seiten | Jetzt bestellen