Am 13. März 2018 trat Michael Chabon in der Kölner Volksbühne auf.

Die wichtigste Nachricht zuerst: Es heißt nicht »Schäääbn«, sondern »Schebonn«. Als Michael Chabon im Rahmen der lit.COLOGNE in Köln auftritt, räumt Moderator Bernhard Robben gleich zu Anfang alle linguistischen Stolperfallen aus dem Weg. Obwohl er im anglophilen Raum eine immense Gefolgschaft hat, verlor der Amerikaner hierzulande stetig an Popularität. Die alten Bestseller sucht man in den meisten deutschen Buchhandlungen vergebens.

Vielleicht liegt das daran, dass Michael Chabon nicht so leicht einzuordnen ist wie seine erfolgreichen Kollegen. Spleenig, schrullig und charmant sind Wörter, die gut auf ihn und seine Bücher zutreffen. Sein Erstling war ein Medienereignis, über das man selbst in Deutschland sprach. Schon die Hintergrundgeschichte klingt wie ein kitschiger Hollywoodfilm. Ohne seinen Schüler davon zu informieren, schickte Professor Donald Heiney dessen Abschlussarbeit zu einem Literaturagenten, der das Manuskript für einen Vorschuss von sagenhaften 155.000 Dollar an den Mann brachte. Das Buch »Die Geheimnisse von Pittsburgh« wurde zum Weltbestseller und der 25-jährige über Nacht zur Berühmtheit. Einige Kritiker verglichen die einfühlsam geschilderten Irrungen und Wirrungen eines jungen Mannes sogar mit dem Kultbuch »Der Fänger im Roggen«.

Klar, dass sich Chabon mit dem Nachfolger »Fountain City« zu übertreffen versuchte, doch als er mehrere Jahre und über 1.500 Seiten später noch immer nicht zu Potte kam, schmiss der verunsicherte Literat das Handtuch. Stattdessen begann er einen Roman über einen Romancier, der in der Krise steckt, weil sein neues Werk auch nach über 1.500 Seiten noch immer keine Form annimmt. »Wonder Boys« stellte er in nur sieben Monaten fertig. Es ist die Geschichte eines merkwürdigen Wochenendes, in der ein Mann, der sich gern vor Entscheidungen drückt, gezwungen sieht, sein ganzes Leben umzukrempeln. Das Buch wurde ein weiterer Erfolg. Die Verfilmung folgte im Jahr 2000. Danach begannen seine Probleme. Oder vielmehr die Probleme des deutschen Publikums mit ihm.

»The Amazing Adventures of Kavalier & Clay«, der Roman, der Chabon gar den Pulitzer-Preis einbringen sollte, konnte die deutschen Leser nicht wirklich begeistern. Die Abenteuer zweier jüdischer Cousins, die im Amerika der 40er Jahre einen Comichelden kreieren, der eine nicht unbeabsichtigte Ähnlichkeit mit Superman hat, behandelte Themen, die für den europäischen Durchschnittsleser befremdlich wirkten. Es war ein Vorgeschmack auf die nächsten Jahre. »Sommerland«, »Das letzte Rätsel«, »Die Vereinigung jiddischer Polizisten« und »Schurken der Landstraße« sind Bücher, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Mit dem Erfolg eines Bestsellers im Nacken hatte Chabon den Mut, seine vielfältigen Spleens auszuleben.

Er konstruiert verspielte kleine Welten, die perfekt wie ein Uhrwerk konstruiert sind. Verfasst in einem einzigartigen Stil, der dem Leser einiges abverlangt. Ein Kapitel aus »Das letzte Rätsel« ist aus der Sicht eines Papageien geschrieben.

Michael Chabon: MoonglowDas letzte Buch, »Moonglow«, erschien daher erst in diesem März bei Kiepenheuer & Witsch, mit einjähriger Verspätung, und das obwohl der Roman mit Lobeshymnen überhäuft wurde. »Moonglow« bietet all das, was Chabon am Besten beherrscht: Es ist eine skurrile Zeitreise durch die Erinnerungen eines sterbenden Mannes, der zufälligerweise Michael Chabons Großvater ist – oder auch nicht.

Mit leicht rauer Stimme verrät Chabon den Zuhörern der vollbesetzten Volksbühne, dass er ein »Expert Liar« sei. Selbst das Eingangszitat des Buchs stamme nicht wirklich von Wernher von Braun, sondern von Pink Floyd. Oder war es der Türsteher des EMI-Gebäudes, in dem »Dark Side of the Moon« entstand? Früher konnte man das Publikum gründlich in einer behaglichen Welt der Halbwahrheiten einlullen, doch Google habe es allen berufsmäßigen Lügnern schwer gemacht.

Doch was ist Fakt? Was Fiktion? Sogar das eigene Erinnerungsvermögen sei nicht vertrauenswürdig, erklärt Chabon. Er habe sich bei »Moonglow« streng an die Wahrheit gehalten – außer wenn Wahrheit und Handlung einfach nicht zusammenpassen wollten. Zum Beispiel, wenn ein GI im Zweiten Weltkrieg mit Pfeil und Bogen beschossen wird und er den Pfeil wie ein Ninja mit der bloßen Hand aufhält. (Chabon: »So sind Kriegsgeschichten nun mal!«).

Ist »Moonglow« nun eine Biografie oder ein Roman? »Moonglow« sei eine Fake-Biografie und er ein aufrichtiger Lügner. Die britische Ausgabe erschien seltsamerweise ohne jegliche Zuordnung, amüsiert er sich. Aber das sei egal, weil jede Art von Fiktion immer eine Lüge ist. Und das ist ein Segen, denn: »Wir sind in uns selbst gefangen. Nur die Fiktion erlaubt es uns, in die Haut eines anderen zu schlüpfen.«

Dank der launigen Moderation Bernhard Robbens bekommt das Publikum an diesem Abend viel Chabon geboten. Wer jedoch zu kurz kommt, ist Vorleser Sylvester Groth. Gerade als er zum zweiten Block ansetzen will, schaltet sich die Crew des Theaters ein. Um 22:00 Uhr sei Schluss. Der Rest der Lesung findet notgedrungen auf der Treppe zum Foyer statt. Donnernder Applaus.

Für den Schriftsteller sei die Deutschlandreise angesichts mangelnder Sprachkenntnisse ähnlich wie ein bekannter Hunde-Cartoon von Gary Larson, in dem sich Hund Ginger die Vorwürfe seines Herrchens anhören muss. Was ankommt, sei lediglich »BlablablahGingerBlahblahblah!«

Foto: Holger Reichard