Kurt Vonnegut: ZeitbebenDiesem Buch geht eine Warnung voraus: Es ist ein Vonnegut-Roman, heißt es, also ein ganz eigenes Genre. Das stimmt: »Zeitbeben« ist ganz anders …

Im Jahr 2001 beschließt das Universum, vor die Wahl gestellt, ob es sich ausdehnen oder einen zweiten Urknall erleben soll, ins Jahr 1991 zurückzukehren. Zehn Jahre lang kommt es so zu einer Wiederholung von allem und jedem, wobei es den Figuren des Buches nicht erlaubt ist, Fehler zu korrigieren, falsch gelaufene Dinge noch einmal neu und dieses Mal richtig in Angriff zu nehmen. Stattdessen müssen sie alles, was passiert ist, noch einmal durchleben. Ein zehnjähriges Déjà-vu.

Vonnegut erzählt seinen Roman nicht in einem Zug herunter oder mit klar gegliederten Rückblicken, sondern springt in kleinen Kapiteln lustig hin und her, in der Zeit, in den Themen sowie zwischen autobiographischen Anekdoten und den Erlebnissen des Science-Fiction-Autors Kilgore Trout, Vonneguts Alter ego in mehreren früheren Romanen.

Wenn von Trout und seinen Geschichten die Rede ist, von den fiktiven Büchern eines fiktiven Autors, wird es immer herrlich absurd. Seine Ideen sind so anarchisch komisch, dass sie aus der Feder von Monty Python hätten stammen können. Zum Beispiel die »Bunker-Bingo-Party«. In dieser Story geht’s darum, dass Adolf Hitler kurz vor seinem Ableben im Führerbunker das Bingo-Spiel für sich entdeckt, es spielt und ein letztes Mal gewinnt. Und weil er sonst nur noch damit beschäftigt ist, berühmte letzte Worte zu finden, bevor er sich die Pistole an den Kopf setzt (»Ich bereue nichts« ist leider schon von Edith Piaf belegt) , fragt er Goebbels: »Wie wär’s mit BINGO?«

Oder die Geschichte von Albert Hardy, einem Mann, der mit dem Kopf zwischen den Beinen und dem »Dingdong« am Hals geboren wurde. Hardy fiel in der zweiten Sommeschlacht des Ersten Weltkriegs, sein Körper wurde in viele Stücke gesprengt und für die anschließende Beisetzung im Grab des Unbekannten Soldaten wieder zusammengesetzt – mit dem Kopf an der »richtigen« Stelle. »Endlich normal«, kommentiert Vonnegut.

Überhaupt ist »Zeitbeben« wunderbar pointiert geschrieben, ein Lehrbuch für das Platzieren von running gags. »Wie hab ich das verdammt nochmal gemacht?«, fragt sich Vonnegut dabei ein ums andere Mal, um ebenso oft an passender Stelle festzuhalten, dass gewisse Dinge aussehen oder sich anfühlen wie etwas, was die Katze angeschleppt hat oder so bedeutend sind, wie das weiße Zeug in Vogelscheiße. Witze oder auch witzige Anekdoten aus seinem Leben lesen sich bei ihm so:

Fred erzählte von einer anderen Jagdpartie, bei der es in Kanada auf Rotwild und Elche ging. Einer musste kochen, sonst wären alle verhungert. Sie losten mit Strohhalmen aus, wer kochen sollte, während die anderen von früh bis spät jagen gingen. Um den Witz unmittelbarer zu gestalten, erzählte Fred, mein Vater habe das kurze Stück Stroh gezogen. Vater konnte kochen. Mutter konnte nicht kochen. Sie war stolz darauf, dass sie nicht kochen konnte, und sie weigerte sich, Geschirr zu spülen und so weiter. Ich besuchte immer gern andere Kinder zu Hause, wo die Mütter sowas taten. Die Jäger einigten sich darauf, dass der erste, der sich über Vaters Küche beschwerte, zum Koch ernannt wurde. Also kochte Vater immer gräßlichere Mahlzeiten, während die anderen sich wie Bolle im Wald amüsierten. Egal jedoch, wie abscheulich ein Abendessen geraten war, die Jäger priesen es in höchsten Tönen als kulinarische Höchstleistung und hieben Vater auf den Rücken und so weiter. Nachdem sie eines morgens aufgebrochen waren, fand Vater einen Haufen frische Elchscheiße. Er briet ihn in Motorenöl. Abends servierte er ihn als Hackbraten. Der erste Typ, der davon probierte, spuckte es wieder aus. Er konnte gar nicht anders! Prustend sagte er: »Herr im Himmel! Das schmeckt ja wie in Motorenöl gebratene Elchscheiße!« Doch dann fügte er hinzu: »Aber lecker, aber lecker!«

Wenn das jetzt nicht schön ist, was denn dann?, hat Onkel Alex Vonnegut, Harvard-Absolvent und Lebensversicherungsvertreter, immer gesagt. Wenn gerade alles mal richtig gut ist, sollten wir aufpassen, dass wir das auch merken, riet er seinem Neffen Kurt. Und dieser zitiert ihn nicht selten. Wenn dieses Buch jetzt nicht schön ist, welches denn dann?, möchte man da als Leser den Rat des schlauen Onkels aus der North Pennsylvania Street 5093 aufgreifen.

Vonneguts »Zeitbeben« ist »Zapping« für Intellektuelle, viel Nonsens, aber nicht nur und auch nicht in erster Linie. Denn hinter allem lauert der Tiefsinn.

Kurt Vonnegut: Zeitbeben | Deutsch von Harry Rowohlt
Hanser 1998 | 232 Seiten | Jetzt bestellen