Der Bücherstapel neben meinem Bett scheint momentan zu wachsen, wie seit Jahren nicht mehr. Vielleicht liegt das an meinem chronischen Zeitmangel, vielleicht befindet er sich auch nur in der Pubertät. Irgendwann ist der Stapel so hoch, dass ich die unteren Bücher ungelesen ins Regal stelle; nicht ohne eine gewisse Verärgerung natürlich – denn schließlich hatte ich für die nun brachliegende Lektüre gutes Geld bezahlt.

Vor vielen Jahren, als ich regelmäßig mit Rezensionsexemplaren versorgt wurde, war das anders. Fast jede Woche stand der Paketbote mit einer neuen Lieferung Pressexemplare vor der Redaktion. Ich verfasste damals regelmäßig Buchkritiken für ein großes Stadtmagazin und wurde großzügig mit allen Neuerscheinungen meiner Wahl bedacht. Meist hatte ich jedoch nicht den Platz oder die Zeit, sämtliche Bücher zu besprechen. Oder ich war nach kurzem Durchblättern enttäuscht und das Buch wanderte in die unteren Etagen meines Stapels, der damals fast ständig bis zur Bettkante reichte.

Wenn der Stapel im Begriff war umzukippen, landeten die weniger attraktiven Titel schließlich im Keller, bei den Ratten, die wohl ebensowenig damit anfangen konnten wie ich. Als Rezensent gewinnt man zwar einen guten Überblick, was die aktuelle Marktlage betrifft, vergeudet aber unter Umständen viel Zeit mit Dingen, die einem nicht wirklich interessieren. Und dazu ist das Leben eigentlich zu kurz.

Als ich die Rezensionen für das Stadtmagazin einstellte, schwand allmählich auch der Bücherstapel, bis sich die Zahl der Bücher neben meinem Bett auf etwa drei Exemplare einpendelte. Eine gesunde Zahl, denn je länger man mit dem Lesen eines Buches wartet, umso mehr schwindet auch die Begeisterung. Zumindest geht es mir so.

Ein gutes Beispiel dafür ist »Telegraph Avenue« von Michael Chabon. Damals besorgte ich mir den Schmöker im englischen Original und war schon ein wenig schadenfroh, dass andere Chabon-Enthusiasten Monate warten mussten, bis die deutsche Übersetzung vorlag. Doch dann kam plötzlich ein eiliger Auftrag, der dafür sorgte, dass ich zum Lesen keine Zeit hatte. Da ich allerdings weiterhin ständig neue Bücher kaufte, wanderte das Buch in die unteren Gefilde meines Stapels. Viele Monate später, nachdem längst die deutsche Ausgabe auf dem Markt war, lag »Telegraph Avenue« noch immer ungelesen bei mir herum.

Noch Schlimmer war es, wenn ich Bücher geschenkt bekam, denn dann fühlte ich eine gewisse Verpflichtung, sie auch zu lesen und bekam andernfalls ein schlechtes Gewissen. Vor einigen Jahren verehrte mir mein alter Mitstreiter Herr Reichard eine Ausgabe von T.C. Boyles Klassiker »Wassermusik«. In der Folgezeit traf ich (dank Herrn R.) nicht nur Boyle selbst, sondern auch dessen Tochter Kerrie.

»Wassermusik« habe ich jedoch bis heute nicht gelesen, denn es gibt einfach Bücher, deren Thematik mich nicht sonderlich begeistert. Seit mir immer klarer wird, dass man in seinem Leben nur eine begrenzte Anzahl Bücher lesen kann, wenn man nebenbei zumindest ab und zu die eigenen vier Wände verlassen möchte, werde ich immer selektiver, vor allem seit ich mich im frühen Vorstadium der Vergreisung befinde.

Buchbesprechungen schreibe ich daher heute selten, denn die Zeit, die dafür investiert werden muss, möchte ich lieber für eigene Projekte nutzen. Insgesamt sind Buchstapel jedoch eine gute Sache. Für Leute mit Schlafstörungen sind sie ohnehin unentbehrlich. Der Bücherstapel neben der Klappe ist verräterischer als ein Bücherregal, denn während sich dort auch Jugendsünden und ungeliebte Geschenke befinden, sind die Wälzer, die neben der Pritsche liegen, Ausdruck der aktuellen Gemütslage.

Die Schattenseiten ungezügelter Leselust findet man allerdings in meinem Keller – denn alles, was ich nicht lesen möchte oder garantiert nie wieder zur Hand nehmen werde, findet dort eine letzte Ruhestätte. Hier findet man vergilbte Bastei-Comics, billige Fantasy-Romane aus den 80ern und natürlich Pappkartons voller Rezensionsexemplare. Das Gute: Angst, dass dort jemand einbricht muss ich nicht haben, denn um Bücher, die selbst eine Ratte nicht anknabbern mag, machen auch Diebe einen großen Bogen.