Christoph von Marschall: Was ist mit den Amis los?Spätestens seit Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist, fragen sich viele: »Was ist mit den Amis los?« Der Historiker und Journalist Christoph von Marschall scheint zwar – zumindest zu dem Zeitpunkt, als er den gleichnamigen Titel verfasste – auch eher überzeugt gewesen zu sein, dass Trump die Wahl nicht gewinnen würde. Trotzdem liefert sein angenehm klar verständlich geschriebenes Buch einleuchtende Erklärungen dafür, warum Deutsche und Amerikaner so unterschiedlich ticken und warum die Deutschen die USA und ihre Präsidenten oft ganz anders sehen – egal ob positiver oder negativer – als die Amerikaner selbst. Und Christoph von Marschall muss es wissen: Er gehörte als einziger deutscher Zeitungskorrespondent während Barack Obamas Amtszeit zum »White House Press Corps« und hat längere Zeit in den USA gelebt.

Als Schwerpunkte seiner Analyse hat sich von Marschall die typischen Themen herausgesucht, die – zum Teil schon immer, zum Teil gerade in der jüngsten Zeit – am meisten Kopfschütteln bei den Deutschen verursacht haben, wenn es um die amerikanische Haltung dazu geht: Krankenversicherung und staatliche Einmischung, NSA-Skandal, TTIP, Präsidentschaftswahlen, Umgang mit Energie, Wikileaks und Edward Snowden, Waffen, Polizeigewalt, Rassismus, Todesstrafe, Guantanamo, Militäreinsätze und »Ölkriege«.

Bewundernswert ist vor allem, wie von Marschall es schafft, unaufgeregt die Perspektiven beider Seiten einzunehmen und dadurch Verständnis für die amerikanischen Sichtweisen zu wecken, ohne sie als die besseren darzustellen. Er schafft dies unter anderem, indem er erklärt, wie die jeweilige Haltung zu einem Thema historisch gewachsen ist, zum Beispiel, warum die Amerikaner Kriegen so viel positiver gegenüberstehen als die Deutschen oder warum sie es nicht als Nachteil empfinden, dass Frauen kaum einen gesetzlich geregelten Mutterschutz genießen.

Dabei rückt er – oft genug verbunden mit einem Aha-Effekt – in Deutschland weit verbreitete Bilder über Amerika zurecht, die gar nicht den Fakten entsprechen: unter anderem auch, dass die USA überall auf der Welt nur um des Öls willen Krieg führen würden. Er zeigt auch, etwa anhand des Klimawandels und der Energiewende, dass Deutsche und Amerikaner zwar anders über bestimmte Themen reden, ihre tatsächlichen Handlungen aber gar nicht so weit voneinander abweichen, wie es den Anschein hat: zum Beispiel beziehen sie ihre Energie fast zu exakt gleichen Anteilen aus den gleichen Quellen.

Alles in allem ist »Was ist mit den Amis los?« überaus lesenswert, sowohl für Amerika-Hasser als auch für Fans. Christoph von Marschall hat das Buch unter anderem geschrieben, weil er sich Sorgen über »die mentale Auseinanderentwicklung der Amerikaner und Europäer« macht. Hoffen wir, dass es viele Leser findet und vielleicht einen Beitrag zur Völkerverständigung leistet. Missverständnisse und Vorurteile in Bezug auf die USA räumt es jedenfalls effektiv aus.

Christoph von Marschall: Was ist mit den Amis los?
Über unser zwiespältiges Verhältnis zu den USA
| Deutsch
Herder 2016 | 272 Seiten | Jetzt bestellen