Christoph Bartmann: Leben im BüroEin Dienstleister kann seine Arbeit nicht so gesund hassen, wie es einmal ein Fabrik- und Fließbandarbeiter tun konnte.

In »Leben im Büro« wirft Christoph Bartmann, »Angestellter aus Leidenschaft«, wie es im Klappentext heißt, einen originellen, kritischen und teilweise auch amüsanten Blick auf die moderne Arbeitswelt all jener, die als Festangestellte in Büros arbeiten. Er zeichnet die Geschichte des Büros, der Verwaltung und des Managements nach und erklärt, welche Entwicklungen dazu geführt haben, dass die Büroangestellten heute mehr Zeit damit verbringen, über ihre Arbeit zu reden anstatt sie zu erledigen.

Der moderne Angestellte ist, wie Bartmann zeigt, ständig damit beschäftigt, seine Arbeit darzustellen, sie anderen zu präsentieren und zu evaluieren. Die Stelle von Vorgesetzten, die ihm sagen, was zu tun ist, und ihn unter Druck setzen, haben moderne Managementtechniken eingenommen, die der Angestellte verinnerlicht hat. Anstatt Anweisungen auszuführen, erreicht er Ziele, die er scheinbar freiwillig mit seinen Vorgesetzten vereinbart hat. So setzt er sich selbst unter Druck. Das alles hat aber nicht zum erhofften Bürokratieabbau oder einer gesteigerten Effektivität geführt, sondern eher zu einem Vertrauensverlust.

Früher, so Bartmann, konnte der Angestellte eine gesunde Distanz zu seiner Arbeit haben und in der Freizeit seine eigentliche Persönlichkeit ausleben. Heute muss er so motiviert in der Arbeit sein und sich so sehr mit ihr identifizieren, dass das nicht mehr möglich ist. Die ständige Erreichbarkeit und die Ausweitung der Arbeitszeiten und -orte durch Internet und Handys leisten ihr übriges zu dieser Entwicklung, die im Burnout gipfelt, der unpeinlichsten aller Krankheiten, wie Bartmann das Phänomen nennt:

Ist nicht der Burnout die Krankheit, die zugleich eine übermäßige – pathologische – Gesundheit darstellt? (…) Der Börsenwert der erkrankten Person wird durch ihre Krankheit nicht geschmälert.

Weiter schreibt Bartmann:

Wenn aber die Burnout-Symptome selbst auf ein Übermaß an positivem Denken zurückzuführen sind, dann ist der Burnout insgesamt die Krankheit des positiven Denkens. Erst hat uns das positive Denken glauben gemacht, es gäbe für uns kein Limit, nun begegnen wir uns wieder als Performance-Junkies in der Kurklinik.

Und selbst die Maßnahmen, die den an Burnout Erkrankten helfen sollen, entlarvt Bartmann als »Berufsdoping«, das lediglich dazu beitrage, dass die Angestellten weiter funktionieren. Er spricht von »Auszeiten und Sabbaticals, die aber nichts an den Verhältnissen ändern, sondern sie, ganz und gar konformistisch, nur besser lebbar machen.«

Bartmann macht vor allem die Techniken des modernen Managements für diese Entwicklung verantwortlich. Er zeigt, wie Managementtheorien mit dem amerikanischen Machbarkeitsglauben und dem Glauben an Heilung durch den Geist und durch die Kraft der eigenen Gedanken zusammenhängen. Und wie das Management aus der Privatwirtschaft auf den Staat übergeschwappt ist und Institutionen, die nicht dafür geeignet sind – Schulen, Universitäten oder Krankenhäuser – seine Anforderungen übergestülpt hat:

Es geht um den Kampf zwischen den Verfahrensspezialisten auf der einen und den Fachleuten, Praktikern und Gelehrten auf der anderen Seite. (…) Die alte Idee der berufsständischen Professionalität ist unter dem Einfluss der Manager der Vorstellung gewichen, dass professionell ist, wer Prozesse erfolgreich managt.

Bartmann hinterfragt dabei ständig auf originelle Weise die Schlagworte, Gegebenheiten und Arbeitsmittel des modernen Büros – auch das Microsoft Office Paket. Über den Begriff Netzwerk schreibt er zum Beispiel:

Netzwerk heißt dann wohl: selbst nichts fertigen, statt dessen überall andere billiger fertigen lassen, aber selbst daran verdienen. Der rasend populäre Netzwerkgedanke ist nie ganz frei von der Vorstellung, an der Arbeit, der geistigen wie der körperlichen, anderer kostengünstig und parasitär teilzuhaben.

Als Lösung schlägt Bartmann eine Rückkehr zu einer besseren Bürokratie vor, zweifelt aber gleichzeitig stark daran, ob eine Systemkritik überhaupt noch möglich ist.

Christoph Bartmann: Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten | Deutsch
Hanser 2012 | 320 Seiten | Jetzt bestellen