Charlie Jane Anders: Alle Vögel unter dem HimmelMit vierzehn hatte Theodolphus Rose auf einem Bett aus moosigem Schiefer geschlafen. Er hatte mehrere hundert Arten gelernt, eine Frau zu töten, ohne den Mann zu wecken, der neben ihr schlief. Jeden Morgen war der vierzehnjährige Theodolphus Rose eine Stunde vor Sonnenaufgang aufgestanden, um mit einer Urne mit dem Urin seines Lehrers auf dem Kopf fünfzehn Kilometer zu laufen, und falls er auch nur einen Tropfen verschüttete oder länger als neunzig Minuten brauchte, musste er so lange Kopfstand machen, bis er einen Fluss aus Sonnenfeuer sah. Das Einzige, was er zu essen bekam, waren nicht ganz tödliche Pilze und Beeren, die im Gestrüpp außerhalb der durch Klippen geschützten Burgschule wuchsen. Und trotzdem war die Schule der Namenlosen Assassinen im Vergleich mit der Canterbury Academy ein Ferienlager.

Patricia Delfine ist eine Hexe, die mit Tieren reden kann, Laurence Armstead ein genialer Tüftler, der bereits in jungen Jahren seine erste Zeitmaschine baute. Beide sind Außenseiter und Mobbingopfer an ihrer Schule und haben schon früh lernen müssen, sich gegen andere durchzusetzen. Bereits in dieser Zeit werden die Weichen für ihr späteres Leben und ihre Bestimmung gestellt.

Zehn Jahre später leben die Hexe und der Nerd in San Francisco. Patricia setzt ihre Hexenkräfte bei nächtlichen Streifzügen für gute Taten ein, und Laurence arbeitet für einen reichen Wohltäter, dessen Organisation nichts Geringeres anstrebt, als die Rettung der Menschheit. Obwohl beide nur Gutes im Sinn haben, landen sie auf gegnerischen Seiten.

Lange habe ich dieses Buch umkreist. Eine Leseprobe im Internet fand ich nicht besonders berauschend und eigentlich hatte ich den Roman schon abgeschrieben, aber im Netz stolperte ich immer wieder über ihn. Er hat prominente Fürsprecher wie Michael Chabon, deren Urteil ich nicht einfach ignorieren konnte.

Schließlich wagte ich doch einen zweiten Versuch und wurde üppig dafür belohnt. Es ist schon wieder eine Weile her, seit ich zum letzten Mal ein Buch las, das einfach nur Spaß gemacht hat. Kurzweilig, witzig, klug formuliert und geschickt komponiert. Es gibt keine Längen, die Geschichte läuft stringent und absolut zwingend ab.

Der Stil der Autorin und die abgedrehte Handlung erinnern mich an Nick Harkaway und Matt Ruff. Nicht alles wird auserzählt, vieles nur angedeutet und der Leser nicht immer an die Hand genommen. Ich mag solche fordernden Bücher, die Raum für Ergänzungen durch den Leser bieten. Außerdem hat Anders ein ähnliches Faible für absurde Vergleiche wie Tom Robbins.

Im Phantastikbereich ist Charlie Jane Anders (zusammen mit Daryl Gregory) wohl die Entdeckung des Jahres für mich. Sicher nichts jedermanns Geschmack, aber aufregend, frisch und einfach Anders.

Charlie Jane Anders: Alle Vögel unter dem Himmel | Deutsch von Sophie Zeitz
Fischer Tor 2017 | 416 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen