Anna Enquist: Letzte ReiseNatürlich, dachte sie, die Akademie, die Marine, das komplette königliche Haus, ein jeder muss sofort in Kenntnis gesetzt werden, damit sie fein trauern können, alle zusammen. Mein Mann ist schließlich öffentlicher Besitz und wird vom Königreich bezahlt. Wurde bezahlt. Vergangenheitsform.

James Cook, englischer »Entdecker« im 18. Jahrhundert. Er unternimmt drei Weltreisen auf denen er jahrelang neue Küsten für den Imperialismus ausspioniert, vermisst und geostrategische Karten für die zukünftigen Ausbeuter zeichnet. Auf seiner letzten Reise wird er auf Hawaii unter nicht geklärten Umständen von den »Eingeborenen« erschlagen, während seine Frau Elizabeth daheim in London auf die letztmalige Heimkehr des unsteten Gatten wartet. Und deren Geschichte erzählt Anna Enquist in ihrem wunderbaren Buch »Letzte Reise« so gekonnt, dass man am Ende nicht weiß, wo die fast 600 Seiten (Kleinformat) geblieben sind.

Denn die Geschichte von der einsamen Seemannsbraut ist alles andere als langweilig: Das Warten auf den dreizehn Jahre älteren Ehemann, die Kinder großziehen, das Haus hüten und für die Heimkehr vorbereiten, der andere Mann, der die Sehnsüchte nicht stillen darf. Das langsame aneinander Gewöhnen, wenn der berühmte Gemahl wieder im Hause ist. Die Heuchelei über die Zustände an Bord der Schiffe, zwanghafte Empfänge bei Hofe. Das Hochjubeln der Entdeckungen durch die Presse. Dann der Schmerz des Abschieds vor der nächsten Reise, das Loch, das der Abwesende immer wieder hinterlässt. Nur gelegentliche Briefe aus fernen Ländern, die monatelang unterwegs sind. Und als ständiger Begleiter der Tod.

Als Elizabeth von der Ermordung James erfährt, ist sie 38 Jahre alt und hat noch weit über 50 vor sich. Sie hat sechs Kinder geboren, von denen zwei bereits kurz nach der Geburt starben und eines im Kindesalter. Die kleine Elly wurde von einer Kutsche überfahren. Aber an den Tod kann man sich nicht gewöhnen. Die Nachricht vom Ableben ihres Ehemannes lässt sie zusammenbrechen. Kaum hat sie sich gefangen, kommt die nächste Hiobsbotschaft. Nach dem Tode ihres jüngsten Sohnes bricht sie endgültig zusammen. Sie ist wochenlang bettlägerig, spricht und isst nichts mehr, aber …

Dass sie innerhalb von drei Wochen nicht mehr als ein kleines Stückchen Fisch gegessen habe. Dass sie seit Monaten jeden Morgen und jeden Nachmittag eine Stunde lang weine und Schreie. Dass ihr nichts helfen könne. Es war ein Kampf gegen ihren Körper. Sie verlor. Ihre dreiundfünfzigjährigen Knochen, Muskeln und Organe feierten den Sieg, beschädigt, aber intakt. Elizabeth stand auf, zog sich an und ging nach draußen.

Elizabeths eigene »Letzte Reise« lässt auf sich warten. Vierundneunzig lange Jahre, von denen die letzten sehr einsam sind. Bevor ihr Körper sie endlich gehen lässt, verbrennt sie Briefe und Aufzeichnungen, denn: Man braucht nichts aufzubewahren. Das ist die Weisheit der Schafe am Hang.

Ein tolles, sehr schön geschriebenes Stück Literatur für Menschen, die eine flüssig erzählte Geschichte, einen guten Schreibstil und eine schlaue Dramaturgie zu schätzen wissen.

Anna Enquist: Letzte Reise | Deutsch von Hanni Ehlers
btb 2010 | 608 Seiten | Jetzt bestellen